Christoph Schlingensiefs «Mea culpa» am Burgtheater
Von Paul Jandl
Ganz ist nur der Tod, das Leben bleibt Stückwerk. Wer wollte Christoph Schlingensiefs neuer Arbeit (vgl. NZZ vom 13. 3. 09) also verübeln, dass sie so eklektisch daherkommt? Es dröhnt die Musik zu Richard Wagners «Parsifal» aus dem Orchestergraben, es irrlichtern Bilder von Krebszellen über die Bühne, als ein feister Mozart ruft: «Ich bin geheilt!» In der Tat hat man auch Schlingensief schon pessimistischer gesehen. Vom tränenreichen Leidensdruck der Duisburger «Kirche der Angst» ist in der neuen «Readymade-Oper» mit dem Titel «Mea culpa» nicht mehr viel zu spüren. Es geht dem deutschen Künstler besser.
Christoph heisst die von Joachim Meyerhoff gespielte Figur, die zweieinhalb Stunden lang dem Geschehen den autobiografischen Rahmen gibt. Was mit «Parsifal» beginnt, endet mit Isoldes «Liebestod». Dazwischen liegen Reisen in die Zeit der Krebserkrankung und in Schlingensiefs Kindheit, in die pompösen Ayurveda-Kuren von Bad Schandau und nach Afrika. Dort soll bald einmal ein Festspielhaus stehen, das aussieht wie das berühmteste in Deutschland.
Wenn «Mea culpa» ein halb ironisches Schuldbekenntnis Schlingensiefs sein soll, dann geht das in Richtung Bayreuth. War es ein Sakrileg, das dortige deutsche Pathos 2004 mit der «Parsifal»-Inszenierung durcheinandergebracht zu haben? Der tote Bayreuther Hase wird in Wien über die Bühne getragen, während sich Schlingensief im Programmheft auch fragen darf, ob er nicht längst mit dem «Giftzeugs» der Wagnerschen Todesmusik infiziert ist. Die Heilsversprechen von Religiosität, Wellness und Richard Wagner werden auf der Drehbühne des Burgtheaters sanft zerrieben. Wo eine Gralsburg und das afrikanische Festspielhaus aufragen, dort trägt Schlingensief die Monstranz seiner Zitat-Kunst vor sich her.
Alles und nichts lässt sich gegen Schlingensiefs dadaistisches Theater der Selbstentäusserung sagen. Es ist rührend pathetisch und anstrengend komisch zugleich. Zwischen Gurnemanz und Firlefanz setzt der Regisseur seine Bilder auf die Bühne. Einmal klopft das grossartige Ensemble donnerschwer ans Himmelstor, dann wieder trällert es Emmerich Kálmáns fröhliches «Komm mit nach Varaždin». So muss es aussehen im Zwischenreich der Todeskrankheit. Für kurz einmal im Himmel angekommen, sagt der Christoph des Stücks: «Ich mag noch nicht. Ich dank euch sehr. – Tschüss!»
Über einen eigens für ihn angelegten Steg wandelt der leibhaftige Christoph Schlingensief auf die Bühne des Burgtheaters, liest aus seinen Krankenhaus-Tagebüchern und erbittet sich vom Publikum ähnliche Notizen. «Ich les es gerne mal.» So hat der barocke Wiener den Tod am liebsten: als vorübergehende Erscheinung. Grosser Jubel für einen Auferstandenen.
23. März 2009, Neue Zürcher Zeitung