In Zürich sind René Pollesch und Christoph Schlingensief derzeit im Doppelpack zu sehen
Na endlich! Es wurde ja auch Zeit, dass das Theater den Markt entdeckt. Geboten werden muss, was verlangt wird, Bedürfnisse wollen befriedigt sein, auch in der moralischen Anstalt. „Wie es euch gefällt“ oder „Was ihr wollt“ hat Shakespeare schon empfohlen und auch Goethe wusste: „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen“. Beneidenswert dumm dran sind allenfalls die geplagten Metropolen-Bewohner, die sich gar noch zwischen verschiedenen Theatern entscheiden müssen.
Da lohnt doch, wie so oft, ein Blick in die Schweiz. In Zürich gibt es jetzt Theater-Zapping. Ja, genau. Vom roten Plüschsessel im Schauspielhaus Pfauen mitverfolgen, was drüben, im Theater am Neumarkt, gerade so läuft. Ganz ohne Fernbedienung, nur mit einer einzigen Eintrittskarte. Und dann nicht etwa Goethe oder Schiller, das wäre ja voll yesterday. Nein die für jeden Party-Smalltalk tauglichen Mode-Dramatiker René Pollesch und Christof Schlingensief gibt’s im Doppelpack. Publikumsliebling und Bürgerschreck zusammengespannt, das muss es doch sein.
Beginnen wir gut bildungsbürgerlich im ehrwürdigen Schauspielhaus Pfauen. „Calvinismus Klein“. Das klingt witzig und vielsagend. Noch ist der Vorhang geschlossen und es erklingt Wagners Meistersinger-Ouvertüre. Dann sehen wir ein schick-gestyltes Paar, das sich – wie einst bei Karl Valentin – anschickt, ins Theater aufzubrechen. Die Zeit drängt und die Aufregung ist groß, denn die beiden wollen in ein interpassives Theaterstück gehen. Interpassiv? Ja, genau. Der jahrzehntelange Terror des interaktiven Theaters sei vorbei, sagen sie.
Jetzt wollen sie nicht mehr länger selbst im Theater denken und fühlen müssen und rufen nach Entlastung. Das Theater übernimmt für seine Besucher den kompletten Denk- und Gefühlskram. „Der Chor der griechischen Tragödie kann für mich berührt sein. Dann muss ich das nicht tun“. Na, prima.
Es gehört zu den Markenzeichen von René Pollesch, dass seine Stücke oft mit nur einem Grundgedanken auskommen, der dann auf Theaterabendlänge gestreckt und mit Endlosschleifen eines schwindelerregenden pseudo-philosophischen Unsinns aufgepäppelt wird. „Die Seele ist eine Außenbeziehung des Körpers zu sich selbst.“ Ja genau. Ein Satz wie in Stein gehauen, tauglich zum Running Gag für die nächste Stunde.
Ein temporeiches Zwei-Personen-Stück, prominent besetzt mit Carolin Conrad und Martin Wuttke, die Zuschauer machen es sich bequem bei Polleschs Text-Snacks. Das ganze spielt in den Versatzstück-Kulissen des Boulevard mit Treppen, Türen, Glamour-Lichterketten, Betten und einer Bar. Nicht zu vergessen ständig auf und ab fahrende Video-Leinwände. Das ginge vermutlich ewig so weiter, würden da per Video nicht immer wieder Szenen der gleichzeitig stattfindenden Schlingensief-Premiere am Neumarkt Theater eingespielt. „Unsterblichkeit kann töten – Sterben lernen! Andersen stirbt in 60 Minuten“ heißt es dort. Und tatsächlich wird Martin Wuttke zur Leinwand blicken und sagen, „Hallo Christof, wie läuft’s bei euch?“ „Prima“ sagt da der Christof im weißen Hermelin und fragt, ob denn im Schauspielhaus die Sache mit dem interpassiven Theater schon abgehandelt worden sei. Wuttke bejaht, da kündigt Schlingensief in der Live-Schaltung für sich und seine Truppe baldiges Kommen an.
Und während Conrad und Wuttke mit ihrem Pollesch-Text weitermachen, setzt sich die Neumarkt-Premiere samt Publikum in Bewegung Richtung Schauspielhaus. Das Video zeigt, wie der titelgebende Herr Andersen bei winterlichen Temperaturen in den Zürcher Gassen mit nacktem Oberkörper unterwegs ist und auf den Schultern ein Kreuz trägt. Den eigenen Trauerzug, samt Geistlichen und Ministranten hat er gleich dabei.
Der Kreuzweg führt zum Kunsthaus, dort wird noch eine Szene in einer Vitrine gespielt, bevor der ganze Tross unter Absingen von Trauerchorälen die Schauspielhaus-Bühne entert und aus dem interpassiven doch noch interaktives Theater macht. „Heute geht es ausnahmsweise einmal nicht um mich“ wird der schwer krebskranke Schlingensief sagen, der nun einmal mehr das Thema Sterben publikumswirksam zelebrieren lässt.
Gestorben ist in diesem Augenblick im zarten Alter von 60 Minuten auch das Pollesch-Stück, Carolin Conrad und Martin Wuttke werden hastig zur Verbeugung und zur Entgegennahme eines für ihre großartige Leistung dürftigen Schlussbeifalls eines irritierten Publikums genötigt.
Noch einmal wird das Pollesch-Stück samt Schlingensief-Einlage zu sehen sein, danach gibt es dann wieder interpassives Theater pur. „Irgendwelche schweren Wörter ziehen an einem leichten Band gasförmige Körper hinter sich her“, heißt es gleich zu Beginn im Stück. Treffender kann man es nicht sagen.
Wolfgang Bager
Mit Schlingensief-Einlage am 8. Dezember, danach Pollesch pur am 14., 16. und 18. Dezember.
Quelle: Südkurier, 07.12.2009