Christoph Schlingensief wird auf Einladung der Kuratorin Susanne Gaensheimer den deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig 2011 bespielen. Die Kombination von Ort und Künstler ist vielversprechend.
Von TILL BRIEGLEB
Es gibt nicht viele Künstler, die in einem linken Kreuzberger Hinterhofkino genauso zu Hause sind wie auf dem Grünen Hügel in Bayreuth, die im Fernsehen moderieren können und trotzdem zur Documenta eingeladen werden. Man müsste meinen, diese Person sei die lauwarme Konsensfigur der deutschen Harmoniekultur, aber genau das Gegenteil ist der Fall.
Christoph Schlingensief hat seine Leben lang Kunst erdacht und erspielt, die Grenzen überschritt. Grenzen des guten Geschmacks, des politischen Anstands, der Geduld seiner Zuschauer und der leichten Zustimmung. In seiner mittlerweile 30-jährigen Schaffenswut hat er „Hamlet“ mit reuigen Neonazis inszeniert und mit dem Publikum seiner Aufführung am Hamburger Schauspielhaus die Zentrale der Scientologen gestürmt, Big Brother mit Asylbewerbern in Wien gespielt und mit seiner Partei Chance 2000 am Bundestagswahlkampf teilgenommen. Das ehrenwerte Wagner-Publikum in Bayreuth schockte er mit dem Video eines verwesenden Hasen, überzeugte es aber dennoch durch seine intensive Auseinandersetzung mit dem Komponisten. Klare politische Beschimpfungen scheute er so wenig wie rätselhafte Predigen über das zitternde Weltall und zuletzt ein Bekenntnis zu Gott. Seit 2008, als bei ihm Lungenkrebs diagnostiziert wurde, setzte er sich in ergreifenden theatralischen Großereignissen mit dem Sterben auseinander und verfolgt selbst von Chemotherapie und der Entfernung eines Lungenflügels geschwächt seinen vielleicht ehrgeizigsten Plan, das „Festspielhaus für Afrika“, ein Projekt, das in Form eines Operndorfs in Burkina Faso im Februar tatsächlich begonnen wurde.
Ein strammdeutscher Kunsttempel
Auf Einladung der Kuratorin Susanne Gaensheimer soll Schlingensief, der bereits 2003 mit dem Projekt „Church of Fear“ auf der Biennale in Venedig vertreten war, nun 2011 den deutschen Pavillon in Venedig bespielen. Und diese Kombination von Ort und Künstler verspricht endlich wieder eine adäquate Umwandlung des Gebäudes. Denn dieser strammdeutsche Kunsttempel mit seiner NS-Kraft-Architektur braucht starke zersetzende Gegenkräfte, damit er benützt werden kann. Hans Haacke, der das national Symbolheischende des Gebäudes ins Absurde übertrieb, oder Gregor Schneider, der ein schräges Mietshauslabyrinth hinter das matrialische Säulenportal baute, haben diesen Kraftakt bewältigt, weil sie das Deutsche als Aufgabe ernst genommen haben – wie Schlingensief es sein Leben lang auch schon tut. Alle braven Ausstellungsversuche mit der Präsentation von deutscher Kunst sind dagegen eher gescheitert. Schlingensiefs grotesk übertriebenen Karikaturen der deutschen Geschichte, von Adolf Hitler bis Gerhard Schröder, die er in seinen Filmen in den Achtzigern und seinen Theaterprojekten an der Berliner Volksbühne in den Neunzigern bis ins total Lächerliche trieb, zeugen ebenso von seiner Besessenheit, sich mit Macht und Repräsentation zu beschäftigen, wie seine Wagner-Obsession oder das afrikanische Opernprojekt. Die Art, wie sich dabei Plakatives und Assoziatives in seinen aktions- und zeichenüberladenen Inszenierungen vermischt, hat ihm zwar immer auch den Vorwurf des Berufsprovokateurs wie des Dilettanten eingebracht. Die große moralische Ernsthaftigkeit, aus der er seine Aktionen so weit trieb, entrückten aber auch das größte von ihm angerichtete Chaos vom Vorwurf der Beliebigkeit.
Performativen Großereignisse mit zwei Säulenheiligen
Es ist nicht möglich, die Menge und Vielfalt seiner Aktionen zu umreißen, aber es gibt einige Konstaten in seinen Methoden. Schlingensief sucht immer nach neuralgischen Punkten der Gesellschaft, die sie mit Schweigen, Heuchelei und Marketing zu überdecken versucht. Ob es sich um die hohle Inszenierung von Politkern handelt oder die zu pathetischen Formen der Vergangenheitsbewältigung, ob es den bigotten Umgang mit Behinderten betraf, die er seit Mitte der Neunziger in seinen Inszenierungen mitspielen lässt, oder das merkwürdige Missverhältnis zwischen inszeniertem Sterben in den Medien und der verschämte Stille, die den wirklichen Tod umhüllt – Schlingensief macht immer Bereiche des Lebens öffentlich, die sich zu verbergen versuchen. Ohne Didaktik, sondern mit den Mitteln der Irritation, der Assoziation, der Übertreibung und des Spektakels, verlangt er seinem Publikum stets eine starke Beteiligung ab. Seine performativen Großereignisse haben dabei zwei Säulenheilige: Neben Richard Wagner ist das Joseph Beuys. Und schon diese widersprüchlichen, nur in ihrem Absolutheitsanspruch verwandten Positionen machen offensichtlich, wie Christoph Schlingensief immer wieder extreme Spannungsverhältnisse sucht, um sich, seine Botschaften und seine Arbeit voranzutreiben. Dem deutschen Pavillon in Venedig kann das nur gut tun.
Aus: www.art-magazin.de – 03 / 05 / 2010