Christoph Schlingensief verbindet sein Projekt „Via Intolleranza II“ eng mit dem entstehenden „Operndorf“ in Burkina Faso. Hamburgs Besucher verstanden seinen Appell.
Von Susanne Oehmsen
Da hat vielleicht der eine oder andere gerade einer Hilfsorganisation einen Scheck überstellt und nun das: „Haltet euch raus aus Afrika!“, donnert Christoph Schlingensief von der Bühne in Halle sechs der Hamburger Kampnagelfabrik. Mit einem flammenden Appell sich nicht in die Angelegenheiten Afrikas einzumischen, beendet er nach 90 Minuten „Via Intolleranza II“, ein Projekt, das er seit März dieses Jahres in Ouagadougou/Burkina Faso sowie in Berlin entwickelt und geprobt hat. Nach der Erstaufführung in Brüssel ist es heute zum vorerst letzten Mal in Hamburg zu sehen.
Schlingensief selbst engagiert sich in Afrika, genauer gesagt in der Nähe von Ouagadougou, wo er den Bau eines Operndorfes mit Schulen, Film- und Musikklassen, Theaterbühne und vielem mehr unterstützt. Gebaut wird es unter Berücksichtigung der traditionellen Lehmbauweise von einem Architekten des Landes mit dem Ziel, dort die Menschen eigene Filme und Stücke über ihr Land entwickeln zu lassen – also ohne europäische Einmischung. Insofern ist Schlingensiefs Projekt ganz eng mit dem Operndorf verzahnt. Und weil so ein Anliegen eben nicht auf traditionellem Weg vermittelt werden kann, wählt er die radikale, bei Brecht beheimatete Form der Brüche, die er aber ungleich radikaler und kompromissloser vorantreibt.
Ausgangspunkt ist Luigi Nonos „Intolleranza 1960“, ein musikalisches politisches Statement gegen Rassismus, Intoleranz und staatliche Gewalt und damit ein Stück Musikgeschichte für aufgeklärte Bildungsbürger. Schlingensief interessiert die Frage, inwieweit das auch auf dem afrikanischen Kontinent gilt und inwieweit europäisches Denken dort überhaupt etwas zu suchen hat.
Also lässt er beide Kulturen in seinem Projekt aufeinander prallen: Fleisch gewordene Barmherzigkeit bei der Frau vom Goethe-Institut, Mitleid und damit verbundene Spendenbereitschaft verschiedener Institutionen auf der europäischen Seite, Stolz in den Liedern und Statements der Spieler aus Burkina Faso. Das gehorcht trotz der auf einen weißen Vorhang projizierten Kapiteleinteilung nicht einer chronologischen Reihenfolge, wirkt vielmehr wie gesampelt und zum Teil improvisiert. Spieler fallen aus ihren Rollen, werden zu ihrer eigentlichen Person, springen – Schlingensief inklusive – von dem privaten, wirklichen Leben zurück ins Spiel, heben auf diese Weise eingefahrene und allseits abgenickte Denkweisen und Gewissensberuhigungen auf den Präsentierteller und geben sie zum Abschuss frei. Und nichts klingt absurder, als wenn Spieler aus Burkina Faso mit den Deutschen gemeinsam „Hoch auf dem gelben Wagen“ singen. In Hamburg schien man verstanden zu haben, applaudierte anhaltend und stellte sich dann brav in die Schlange vor dem Spendentopf für’s Operndorf.
Quelle: Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag, 26. Mai 2010