EINE SZENISCHE IDEENORGIE (DER STANDARD)

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Christoph Schlingensiefs Collage auf der Probebühne des Burgtheaters im Wiener Arsenal

Via Intolleranza II (c) Aino Laberenz

Wien – Es beginnt im Wiener Arsenal mit einer netten Lieddarbietung und endet ganz anders – mit einem Filmausschnitt, in dem Christoph Schlingensief monologisierend zu erleben ist, in dem er selbstquälerisch-ungehalten all jenes Helfertum, das über Afrika gekommen ist und kommt – inklusive Schlingensiefs eigenem Vorhaben -, infrage stellt.

Dazwischen fehlt – so der irgendwann Erschöpfung auslösende Eindruck – bei Via Intolleranza II praktisch nichts außer einem Verweis auf die laufende Fußball-WM in Südafrika, die angeblich auch ein Meilenstein für die positive Wahrnehmung des Kontinents werden soll:

Via Intolleranza II, diese Kooperation von Wiener Festwochen, Burgtheater und Impulstanz (die auch nach München an die Oper gehen wird), ist eine überbordende, überfordernde und schrill-skurrile Mediation über Klischees und Stereotype entlang Luigi Nonos politischem Musiktheater Intolleranza 1960. Mit einem gesamtkunstwerklichen Ansatz wird sie zu einer wilden, dynamischen szenischen Collage, in der sich Filme in szenische Kurzszenen bohren, Texte mit Tanzmomenten kollidieren.

Via Intolleranza II (c) Aino Laberenz

Und die Musik: Sie pendelt zwischen afrikanischer Popmusik, freien Passagen, HipHop, angerissenen Soulklassikern und jenen Klängen, die das Fönix-Orchester produziert. Das wohlgeordnete Chaos erwächst immer wieder aus der vollgerümpelten Bühne. Weiße Vorhänge werden zu Projektionsflächen, angemalte Holzhäuschen zu Herbergen. Auch ein Krankenbett ist da, und eine Glaszelle, die zur Kurzzeitdisco mutiert. Und ja, auch ein Rednerpult kommt zum Einsatz.

Inhaltlich geht es natürlich auch um Schlingensiefs Operndorf Remdoogo, das bei Ouagadougou in Burkina Faso entsteht. Um dieses Projekt herum grübelt sich Schlingensief hier assoziativ durch seine eigenen Vorurteile, seine Hilflosigkeiten und Zweifel. Die europäischen Darsteller lässt er spleenig und in ihrem Pathos lächerlich erscheinen. Den afrikanischen Künstlern bietet er auch ein Forum – da ist auch eine Europäerbeschimpfung drin. Und da es um alles zu gehen scheint, geht es auch um europäisches Kunstgehabe: Wenn eine fiktive Festwochen-Dramaturgin dann eingangs einen Vortrag hält und angebliche E-Mails von Schlingensief vorliest, in denen dieser Festwochen-Chef Luc Bondy und Regiekollege Frank Castorf vorwirft, sie würden einander quasi im Gegengeschäft die Regiejobs zuschieben, dann gibt es kein Halten mehr im Publikum.

„Leben ist das, was nicht gelingt“, heißt es dann aber an einer andere Stelle. Und da lacht dann niemand, und das passt auch viel besser zu diesem Abend der fantasieprallen, quälenden Ideenorgie, die eine ganz eigene szenische Dynamik entfalten konnte.

Quelle: tos / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14.6.2010