Amüsant und krampflos: Eröffnung der Münchner Opernfestspiele mit Christoph Schlingensiefs „Via Intolleranza II“.
Am nettesten ist ja das Goethe-Institut. „Via Intolleranza II“, so wird auf der Homepage verlautbart, sei „Schlingensiefs Versuch, Nonos Werk nach Afrika zu exportieren und dort von den Burkinern selbst interpretieren zu lassen“. Eine „Kontextverlagerung“ erhofft sich dabei das Institut. Ein paar Euro Unterstützungszahlung womöglich der listige Initiator. Und wie zum Hohn gibt es tatsächlich Luigi Nonos Protest-Oper „Intolleranza“: als wenigsekündiges Klangkrächzen vom Handy, das ins Mikro gehalten wird. Mehr geht nicht, entschuldigt sich Schauspieler Stefan Kolosko. Die Aufführungsrechte, Sie verstehen.
Dass Christoph Schlingensief mit „Via Intolleranza II“ die Opernfestspiele jener Stadt eröffnet, in der viel und gern übers Konto abgewickelt wird, ist natürlich die größte Pointe des Gastspiels. Und so ist München, nach Brüssel, Berlin und Wien, vielleicht der logischste Aufführungsort dieser Performance. Von was der 90-Minüter erzählt, der zugleich den Pavillon 21 auf dem Marstallplatz einweiht? Natürlich von Christoph Schlingensiefs schneckenförmigem Operndorf in Afrika, das sich mit Schule, Kunst und Krankenstation als multiple Heilsbringungsanstalt versteht. Vor allem aber wird erzählt vom Scheitern solcher Anstrengungen. Von der Peinlichkeit mitteleuropäischer Good-Will-Haltungen, vom Pawlow’schen Griff in den eigenen Geldbeutel, der immer wieder durch den Dreischritt Hungerbauch – Fernsehbericht – Spendenkonto ausgelöst wird.
Schlingensief hat dazu in Burkina Faso gecastet. Ein Professor für Ethnosoziologie im Fantasie-Diktatoren-Anzug ist dabei, eine Komikerin, dazu Sänger, Tänzer und Musiker. Der Meister lässt sich durch Stefan Kolosko als von afrikanischer Unorganisiertheit genervtem Alter Ego vertreten, kommt aber auch zweimal selbst auf die Bühne. Erzählt dann von seiner gescheiterten Film-Ausbildung in München und beginnt in anklagenden Monologen und Wortschleifen bis zur Kurzatmigkeit heiß zu laufen. „Ich habe Krebs und nur noch eine Lunge“ – hastig und nebenbei gesprochen, das reicht.
Es wird gesungen, gerappt, geklatscht. Francesco Bertolinis Film „L’inferno“ von 1911 läuft als vielsagender Kommentar über die Vorhänge, dazu aktuelle Videos aus Burkina Faso. Ein Kleinwüchsiger gibt sich als Kind aus und buhlt im Publikum um die Damenwelt. Und dass all dies nicht in ein böses, weinerliches, zeigefingerndes Betroffenheitstheater rutscht, ist vielleicht das größte Verdienst von „Via Intolleranza II“. Denn am meisten erzählen die 90 Minuten natürlich von Schlingensief selbst. Der hat losgelassen. Drängt einem die Krankheit mit dem K-Wort nicht mehr wie in der „Kirche der Angst“ als Passionsoratorium auf, hat auch die schmerzlich-schöne Tragikomödie „Mea Culpa“ hinter sich gelassen. Und ist nun in einer Phase amüsierter Distanz angekommen. Ohne den krampfigen Anklagegestus früherer Abende und Installationen, ohne die hemdaufreißende Selbststilisierung.
„Via Intolleranza II“ ist also die Weiterentwicklung von Nonos Appellwut: ein gelichteter, konzentrierter Performance-Wust, ein kakophones Kabarett, das mit Voyeurismus, Betroffenheitspathos und Peinlichkeiten jongliert. „Ab heute ist der Gutmensch erledigt“, empfiehlt Schlingensief. Doch der hat am Ausgang, wo der Ethno-Professor ein Alufolien-umwickeltes Gefäß bereithält, schon wieder den Geldbeutel gezückt.
Quelle: Merkur Online, 25.6.2010, von Markus Thiel