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"Kunst der Geistestätigkeit"
Interview mit dem Regisseur Hosea Dzingirai
über "Kunst & Gemüse, A.Hipler", seine erste Regiearbeit in Deutschland.
Herr Dzingirai, es ist viel passiert, seit Sie und Christoph Schlingensief sich zum ersten Mal trafen.
Dzingirai: Ja, besonders mir.
Das klingt beinahe verbittert.
Dzingirai: Nicht grundsätzlich, aber jede Art von Blick zurück in die Vergangenheit hat etwas mit Schmerz
zu tun. Bei mir ist es jedenfalls so. Ich tröste mich immer mit der fixen Idee, daß alles, was mir geschieht, einem anderen passiert.
Demnach sind Sie freiwillig schizophren?
Dzingirai: Nicht einmal freiwillig, aber es passiert soviel, daß es sehr hilfreich ist, es auf mehrere Schultern zu verteilen.
So wie Sie die Verantwortung an Ihrer ersten Arbeit in Deutschland mit Christoph Schlingensief teilen?
Dzingirai: Nun ja, wir sind ja nicht ein und dieselbe Person. Seine Verantwortung ist vielleicht größer, weil man ihn in Deutschland kennt und unter seinem Produzentennamen hier ein anderer arbeitet. Das ist sein Risiko.
Und das Ihre?
Dzingirai: Mein Risiko ist es, in Deutschland oder Europa so unbekannt zu bleiben, wie ich es jetzt schon bin. Ich bin so unbekannt, daß man mich gar nicht vergessen kann.
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Regisseur Hosea Dzingirai und sein Team bei einer Probenbesprechung zu "Kunst und Gemüse, A. Hipler" (Foto: Heike Schnepf) |
In einem Begleitheft zu Ihrem Workshop am Goethe-Zentrum Kapstadt schreiben Sie, daß der wahre Künstler gar keine andere Wahl hat, als in den Untergrund zu gehen. Hier sind Sie im Untergrund, sie müßten zufrieden sein.
Dzingirai: Ja, sehr zufrieden und sehr untergründig.
So untergründig wie Ihre Inhaftierung durch den simbabwischen Geheimdienst?
Dzingirai: Ein seltsamer Gedankensprung, aber vielleicht haben Sie Recht. Meine Dunkelhaft in Simbabwe, keine 1000 Meter Luftlinie von meiner Wohnung entfernt, und mein Aufenthalt in einem deutschen Theater sind sich nicht unähnlich.
Wo sehen Sie Parallelen?
Dzingirai: (lacht) Ganz bestimmt im ständigen Gedanken an Ausbruch, Ausbruch aus der Zelle und Ausbrechen aus der Kunst.
Der Ausbruch aus der Kunst ist nicht neu.
Dzingirai: Für sie hier vielleicht nicht. Aber waren die Ausbrüche erfolgreich? Hat man die Flüchtigen nicht bald wieder eingefangen? Von Dada bis zur Ästhetik des Performativen hat man alles schon wieder eingekerkert. Gefängnisausbrüche sind auch nicht neu, trotzdem finden sie immer noch statt.
Und wohin dann nach dem Ausbruch?
Dzingirai: Einfach in die Zeit, (lacht) oder eben zurück nach Simbabwe.
Christoph Schlingensief sagte, Ihre wahre Kunst sei die Verwendung von Zeit.
Dzingirai: (lacht) Wohl eher ihre Verschwendung.
Haben Sie Arbeiten Schlingensiefs gesehen?
Dzingirai: Ich habe Bambiland in Wien gesehen und schon vorher die Church of Fear sehr aufmerksam verfolgt. Parsifal ist mir aus Zeitgründen leider entgangen, ich hoffe, es im kommenden Jahr sehen zu können. Alles in allem hat es meine Neugier auf eine Zusammenarbeit enorm gesteigert. Atta Atta werde ich mir nach unserer Premiere noch einmal an der Volksbühne angucken. Ich bekomme ja jetzt Mitarbeiterkarten.
Schlingensief betonte die Stille, die während Ihrer Probenarbeit herrsche und die ihn offensichtlich beeindruckt hat.
Dzingirai: Nun, ich habe seine Theaterproben noch nicht miterlebt. Ich habe ihn als Filmregisseur erlebt, zuerst 1995 bei "United Trash" und vor zwei Wochen bei den Dreharbeiten zu "Applehead sings Schönberg".
Einem Aktionsfilm, den er zu Ihrer Inszenierung beisteuert.
Dzingirai: Genau. Also da gibt es schon grundlegende Unterschiede. Ich arbeite bestimmt stiller als er. Ich glaube an ein gemeinsames Geheimnis aller Beteiligten, daß man nach und nach lüftet. Vielleicht haben wir es auch zur Premiere noch nicht gelöst und müssen andere um Hilfe bitten.
Geheimnisse sind zweifellos ein großes Thema Ihrer Arbeit, z.B. bei "Third World Trade Centre". Ihre Zeichnungen mit Straßenszenen in Harare, die alle am 11. September 2001 entstanden, lassen Sie mit dem Geräusch der einschlagenden Flugzeuge von New York unterlegen und mit Live-Kommentaren aus dem Fernsehen. Alles paßt auf bizarre Weise zusammen.
Dzingirai: Aber warum paßt das alles zusammen? Das ist die Frage, die man mit aus der Ausstellung nehmen sollte. Warum fügen sich die klarsten Gegensätze bei näherer Betrachtung so nahtlos zusammen?
Mit "Kunst und Gemüse" ist es ähnlich?
Dzingirai: Ja, unter anderem spielt der Titel auch auf diese beinahe übersinnlichen Parallelen an. Es geht auch um die emotionalen Kulturen Afrikas und die rationalen Kulturen Europas, die in A.Hiplers Gemüseladen gemeinsam in der Auslage liegen. Die Natur schafft Wunderwerke wie Blumenkohl und Schnittlauch, die Kultur, also wir, schafft Bilder und Theaterstücke. Daß wir Gemüse zum Überleben brauchen, ist unstrittig. Aber brauchen wir die Kunst?
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Regisseur Hosea Dzingirai und Produzent Christoph Schlingensief während einer Probenpause in der Volksbühne Berlin (Foto: Heike Schnepf) |
Viele Bestandteile Ihrer Arbeit finden also im Kopf statt?
Dzingirai: Bestenfalls ja, allerdings nicht in meinem. Es geht nicht um ein Kunstwerk oder, noch schlimmer, um ein Gesamtkunstwerk. Es geht um eine Geistestätigkeitskunst, die einfach immer stattfinden sollte, schon vor dem ganzen Theater, auch währenddessen und vor allem danach.
Einige Mitwirkende konnten Sie aber nicht für Ihren "Geheimdienst" gewinnen. Frau Rois und Herr Hinrichs haben sich nach wenigen Probentagen verabschiedet.
Dzingirai: Ich war einigermaßen überrascht, wie schnell Schauspieler, und auch noch professionelle, sich weigerten, in eine Rolle zu schlüpfen, die mehr verlangte, als einen Text zu sprechen, sich ins Licht zu stellen usw. Herr Hinrichs sagte mir, er habe gerade mit Udo Ochsenkelch (gemeint ist Schauspieler Uwe Ochsenknecht, die Red.) einen Film gedreht und sei anderes Arbeiten auf höherem Niveau gewohnt. Das mußte ich akzeptieren. Daß Frau Rois die Arbeit abbrach, weil sie sich nicht von mir herumkommandieren lassen wollte, hat mich zuerst geschockt.
Das hat Frau Rois gesagt?
Dzingirai: Nicht wörtlich, aber so habe ich es aufgefaßt. Als man mir ihre tatsächlichen Ausstiegsgründe nannte, habe ich die Proben für zwei Tage unterbrochen, um Luft zu schnappen. Christoph Schlingensief hat mir dann einige Zusammenhänge erklärt, danach konnte ich weiter arbeiten.
Das Theater hinter den sprichwörtlichen Kulissen ist ein anderes als das an der Rampe.
Dzingirai: Genau, wir wollen versuchen, das zu ändern. Das Ensemble, wie es sich jetzt zusammensetzt, ist großartig und zu allem bereit. Die meisten arbeiten zum ersten Mal an der Volksbühne, so wie ich. Eine erfahrene Kraft wie Kerstin Grassmann, die ja auch schon mit Christoph Schlingensief gearbeitet hat, ist für uns ein ganz wichtiger Katalysator.
Denken Sie an rechtliche Schritte gegen Frau Rois?
Dzingirai: Jesus, nein, viel schlimmer, ich denke an persönliche Schritte auf dem Theater.
Welche Rolle spielt dabei die Krankheit ALS, die im Zusammenhang mit "Kunst und Gemüse" auftaucht?
Dzingirai: Den Gedanken hat Angela Jansen mit in die Arbeit gebracht. Sie ist 1994 selbst an ALS erkrankt. ALS ist eine zunehmende Muskelschwäche, über die man noch nicht besonders viel herausgefunden hat, die wiederum aber eine hohe Dunkelziffer an Betroffenen aufweist. Wir ahnen alle noch gar nicht, wie krank wir wirklich sind. Die Idee einer unbekannten Lähmung, die den Körper, also das Handeln, einschränkt, ohne das Denken zu beeinträchtigen, hat mich sofort fasziniert.
"Theater ALS Krankheit" heißt es in einem Infotext. Man könnte auch sagen: Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.
Dzingirai: Genau, das trifft doch auf nichts mehr zu als auf die Kunst selbst. Man kann auch sagen: Das Gemüse ist willig, aber die Kunst ist schwach.
Artikel- und Materialübersicht zu Kunst & Gemüse, A. Hipler
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Kunst & Gemüse
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KUNST UND GEMÜSE, A. HIPLER
Präsentiert von der Volksbühne Am Rosa-Luxemburg-Platz
Regie: Hosea Dzingirai, Co-Regie: Park Yung Min, Buch: Angela Jansen
Darsteller: Karin Witt, Maria Baton, Kerstin Grassmann, Katharina Schlothauer, Christiane Tsoureas, Ulrike Bindert, Anna Warnecke, Andrea Erdin, Reami Rosignoli, Peter Müller, Horst Gelonneck, Maximilian von Mayenburg, Christian Roethrich, Arno Waschk und das Schöneberger Schönberg-Orchester e.V. , Mario, Babba, Winnie, Simon und King David
Eine Christoph-Schlingensief- Produktion
Bühne: Thekla von Mülheim, Marc Bausback, Tobias Buser; Kostüm: Aino Laberenz; Video: Monika Böttcher; Videoassistenz: Heike Schnepf; zusätzliche Videos: Meika Dresenkamp, Robert Kummer; Musikalische Leitung: Uwe Altmann; Dramaturgie: Carl Hegemann; Dramaturgische Beratung: Henning Naß; Künstlerische Mitarbeit u. Internetredaktion: Jörg van der Horst; Licht: Torsten König; Ton: Wolfgang Urzendowsky; Regieassistenz: Sophia Simitzis; Kostümassistenz: Anne-Luise Vierling; Webdesign: Patrick Hilss; Inspizienz: Karin Bayer; Regiehospitanz: Sarah Bräuer, Hedi Pottag, Kai Krösche; Betreuung: Nathalie Noell
Mit besonderem Dank an: Dr. Thomas Meyer (Charité Berlin) und Jörg Immendorff
Premiere am 17.11.2004 im Großen Haus der Volksbühne Berlin
Externe Links
- Charité ALS-Seite
- Immendorf-Stipend.
- Schlingensief-ALS
- Volksbühne Berlin
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