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Tonal, atonal, total. Erste Expressionen von den Endproben der Dzingirai-Festspiele Berlin
Zu Beginn der "A.Hipler"-Endproben, zwischen "Kunst und Gemüse", füllen Fragen den Großen Saal der
Berliner Volksbühne: Was ist eigentlich noch Kunst? Und wo, wenn schon keine Kunst mehr vor Ort ist,
bleibt eigentlich die Wirklichkeit? Regisseur Hosea Dzingirai und sein Ensemble sitzen in einem selbst
gewählten Vakuum, in dem nicht mehr inszeniert, nicht mehr gespielt wird – und Authentizität ist auch
verpönt.
"Was sind das bloß für Menschen, die wir hier sehen?", fragt Dzingirai, und Produzent Christoph Schlingensief,
zurückhaltend in die hinteren Sitzreihen verkrochen, ergänzt: "Sind das überhaupt noch Menschen?" Darum wird es
am ersten der letzten (Proben-)Tage des Stücks (des Theaters?) gehen.
Sind die Figuren in und um Dzingirai überhaupt noch Menschen? Menschen, die alles zerstören müssen.
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Tonal, atonal, total: Kunst, Gemüse & A. Hippler (Foto: Heike Schnepf) |
Der Himmel färbt sich rot, blutrot über Apfelkopf. Hitler war Vegetarier. Was sind das bloß für Menschen, die
zu so etwas fähig sind, die schon dem rohen Fleisch derart entsagen? Es ist krank. Es sind Tiere. Sind es Tiere?
Perverse Tiere? Auf der Bühne fährt ein Kunstcamp vorbei, darin ein Rudel Wölfe: große, kleine, breite,
schwarze. Hier in der Natur der Bühne haben sich die letzten Kulturüberlebenden zusammengerottet. Vom Himmel
kommt ein Feuerregen und der dritte Teil des Himmels wurde zu Blut. Die Erlösung? Wird man erlöst, wenn man
seine eigene Existenz in Frage stellt? Die Frage nach dem Sinn der Welt, dem Sinn von Kunst? Darf sich Kunst
immer damit herausreden, daß sie frei ist und keinen Sinn braucht? Rot dominiert, daran läßt der Himmel
keinen Zweifel. Und die Bühne fuhr auf die Menschen nieder und machte sie krank. Die Unfähigkeit, die Welt
verändern zu können, machte alle krank. Und sie fuhren nach Mallorca, Meditation in Valdemossa, Kunst auf
Rezept. Doch der Mensch, das wird schnell deutlich, bleibt gefangen in seinem Körper, wie Hölderlin Marionetten
in ihrem Theater. Das Denken geht zu Ende und die Körper sind unbeherrschbar. Pause.
Dzingirai ist kein Mann der tausend Worte: "Jeden Tag sterben 200.000 Kirschen und hier zahlen Studenten
der Landwirtschaftsökologie ermäßigten Eintritt! Für diese Botschaften sind sie nach Berlin gezogen und
finden ihr Bild von saftigroten Früchten komplett zerstört!" Det is´ Berlin, man kann es aber auch noch
globaler sehen. Treffpunkte des unnützen Daseins. Die geprobte Stimmung ist auf dem Nullpunkt angekommen.
Jetzt hilft nur noch eins: Johannes H., 1000 Reichsjahre alt, präsentiert die größten Hits aus genau der
gleichen Zeit. "Man müßte noch mal...", ja was denn bitte schön? Künstler sein, 20 sein, Mensch vielleicht?
Was will uns ein Eingeborener damit sagen?
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Tonal, atonal, total: Kunst, Gemüse & A. Hippler (Foto: Heike Schnepf) |
Und schon wieder "Wohnmobil mit Apfelkopf". Manche Dinge kehren immer wieder, auch wenn sie sich nur im
Kreis drehen. Ein berauschendes Gefühl. "Und ich sage Euch: Mit Gemüse und Kunst wird der Drogenkonsum in
Berlin um 60 Prozent abnehmen!" Auf Dzingirais Anweisung bohrt sich die Drehbühne in den Boden von Berlin.
Schon bald nach dem Aufwärmprogramm mit Sprech- und Körpertraining beginnt der Untergrundkampf. Berlin ist
nur die Oberfläche, darauf wächst in absehbarer Zeit kein Kohl mehr. Vom Himmel kam Feuerregen und die Bühne
ging Richtung Hölle. Auf dem Weg dahin ein Lebensmittelladen. Seine Zerstörung in Kulturs Namen kostete
120.000 Euro. Genausoviel war der AIDS-Stiftung letztes Jahr gestrichen worden. Kunst und Leben hängen
irgendwie zusammen.
200 Jahre später: Off-Off-Broadway, Regie: Hosea D., immer noch.
Die Schauspieler waren kaum noch zu sehen und das restliche Licht fiel so neben die Notenständer, daß das
Kammerorchester nicht mehr spielen konnte.
Theater war wirklich sinnlos geworden. Im Großen Saal der Volksbühne wird langsam, bestimmt aber bis zum
17. November, ein Traum wahr. Die Fragen bleiben…
Artikel- und Materialübersicht zu Kunst & Gemüse, A. Hipler
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Kunst & Gemüse
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KUNST UND GEMÜSE, A. HIPLER
Präsentiert von der Volksbühne Am Rosa-Luxemburg-Platz
Regie: Hosea Dzingirai, Co-Regie: Park Yung Min, Buch: Angela Jansen
Darsteller: Karin Witt, Maria Baton, Kerstin Grassmann, Katharina Schlothauer, Christiane Tsoureas, Ulrike Bindert, Anna Warnecke, Andrea Erdin, Reami Rosignoli, Peter Müller, Horst Gelonneck, Maximilian von Mayenburg, Christian Roethrich, Arno Waschk und das Schöneberger Schönberg-Orchester e.V. , Mario, Babba, Winnie, Simon und King David
Eine Christoph-Schlingensief- Produktion
Bühne: Thekla von Mülheim, Marc Bausback, Tobias Buser; Kostüm: Aino Laberenz; Video: Monika Böttcher; Videoassistenz: Heike Schnepf; zusätzliche Videos: Meika Dresenkamp, Robert Kummer; Musikalische Leitung: Uwe Altmann; Dramaturgie: Carl Hegemann; Dramaturgische Beratung: Henning Naß; Künstlerische Mitarbeit u. Internetredaktion: Jörg van der Horst; Licht: Torsten König; Ton: Wolfgang Urzendowsky; Regieassistenz: Sophia Simitzis; Kostümassistenz: Anne-Luise Vierling; Webdesign: Patrick Hilss; Inspizienz: Karin Bayer; Regiehospitanz: Sarah Bräuer, Hedi Pottag, Kai Krösche; Betreuung: Nathalie Noell
Mit besonderem Dank an: Dr. Thomas Meyer (Charité Berlin) und Jörg Immendorff
Premiere am 17.11.2004 im Großen Haus der Volksbühne Berlin
Externe Links
- Charité ALS-Seite
- Immendorf-Stipend.
- Schlingensief-ALS
- Volksbühne Berlin
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