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"Reproduktion des Unproduzierten"
Ein Gespräch mit und zwischen Martin Kippenberger und Horst Gelonneck über den weißen Kulturterror und den Schwarzen Hosea Dzingirai.
Herr Kippenberger, auch 7 Jahre
nach Ihrem persönlichen Rückzug bleiben Sie der Kunst treu und sind
jetzt an der Volksbühne zu Gast. Ein Neuanfang?
Kippenberger: Die Kunst stirbt ja nicht. Kunst geht immer weiter und nimmt wenig Rücksicht auf Verluste.
Die Volksbühne ist für mich kein Neuanfang, ich bin nach Hause gekommen.
Ihnen hat es immer schon gefallen, Freund wie Feind zu provozieren, sich von niemandem einordnen zu lassen. Kann man da überhaupt von Heimat sprechen?
Kippenberger: Als Künstler immer. Man braucht ja eine Startrampe, von der man abheben kann. Von dieser Ordnung aus gilt es dann, unordentlich zu sein.
Herr Gelonneck, auch Sie haben den Platz zwischen den Stühlen mit Bedacht gewählt. Kaum ein Attribut, das Ihnen noch nicht übergestülpt wurde: Verschwender, Schreihals, Anführer, Vorsteller...
Gelonneck: Ja, aber anders als Martin habe ich keine Basis. "Heimat, du bist so schön", aber ich schwebe frei im Raum. Martin tanzt durch die künstlerischen Medien wie ein Irrlicht, aber nicht elfenhaft, sondern mit respektloser Power, mit Malerei, Skulptur, Installation, Montage, Poesie, Prosa...
Kippenberger: Danke, Horst, aber eigentlich bin ich ja kein richtiger Maler, kein richtiger Fotograf usw. Ich betrachte alles ja auch nur von außen und greife manchmal ein, so wie du auch.
Gelonneck: Genau, Unmittelbarkeit, darauf kommt es an.
Hat die Kunst ihre Unmittelbarkeit verloren? Wird Sie selbst zum bloßen Diskurs oder Kommentar?
Gelonneck: Wenn man das Unmittelbare pausenlos wiederholt wird es mittelbar. Was verloren geht, gehen soll, ist der Sinn, um in seinen sterblichen Überresten nach Sinn zu suchen.
Kippenberger: (lacht) Das macht Sinn.
Gelonneck: Dankeschön. Es klingt so, als ob Kippenberger sich lustig machen würde. Aber gerade die Lust ist todernst.
Kippenberger: Ich gebe meinen lustigen Senf dazu. Aber du doch auch, Horst.
Gelonneck: Genau, aber im lustigsten Moment muß man dann auch zuschlagen, Köpfe abtrennen, Sinn zerschlagen.
Mit Ihnen verfügt die Volksbühne, verfügt "Kunst und Gemüse" über zwei Kraft- menschen, die es so gut wie mit allem aufnehmen.
Gelonneck: Ja, und auch mit sich selbst.
Kippenberger: Im Sinne Dzingirais geht es darum, das Atonale ins Tonale zu wandeln und umgekehrt. Was heute wie Chaos wirkt, ist morgen schon Kunst. Unmittelbarkeit, um darauf zurück zu kommen, hat sich ins Schnelllebige verwandelt.
Muß man demnach davon ausgehen, daß sich Kunst irgendwann verabschie- det, daß es sie einfach nicht mehr gibt?
Kippenberger: Ich würde schätzen, zwanzig Jahre ist der Zeitraum. Danach stellt man fest, wie das Werk, der Künstler eigentlich gewirkt haben.
Gelonneck: Die Zeit bis dahin muß man aushalten. Das ist Scheiße, aber notwendig. Was dann die Leute noch von mir erzählen werden, das entscheidet. Und ich meine die Leute, ich meine nicht die Kulturkritikindustrie.
Ziehen wir diese zwanzig Jahre ab. Woran arbeiten Sie gerade jetzt und hier?
Gelonneck: Na ja, das sagt man doch nicht vor Ausstellung des Kunststücks.
Kippenberger: Ich arbeite daran, daß die Leute sagen können: Kippenberger war gute Laune. (lacht)
Wird man das nach "Kunst und Gemüse" auch sagen?
Gelonneck: Man darf lachen, soviel Raum läßt dieses Theater.
Kippenberger: Ich berate Dzingirai bei den Konnotationen zur Kunst, die auf der Bühne stattfinden. Ich habe aber zum ersten Mal auch den Drang verspürt, auf der Bühne, also in der Kunst selbst zu bleiben. Das ist neu für mich.
Gelonneck: Man lernt nie aus. Und das muß uns Aufgeklärten ein Afrikaner beibringen.
Die Endproben laufen. Können Sie, um atonal zu fragen, schon ein Fazit ziehen?
Kippenberger: Ich glaube, die Arbeit hat sich gelohnt. Dzingirai verfolgt eine Methode der Selbsthistorisierung, er bearbeitet sein Stück wie eine Ausstellung des guten und schlechten Geschmacks. Mich erinnert einiges an „Wittgensteins Mißverständnis“. Sein Stück ist ein Museum mit noch nicht produzierten Kunstwerken...
Gelonneck: ...oder eben ein Regal, das seine Biographie aufarbeitet, Kunst nachahmt und respektvoll demontiert.
Kippenberger: Von Kant bis Heesters usw.
Gelonneck: Richtig, und so weiter und wieder zurück und von vorn. Wir reproduzieren Werke, die noch gar nicht produziert worden sind.
Kippenberger: Das trifft es. Sehen Sie, dafür ist Horst da!
Fließt Ihre Arbeit auch noch konkreter ein? Finden Ihre Bilder, beispielsweise aus der Flicksammlung, Einlaß in die Aufführung?
Kippenberger: Wenn Sie so wollen ja. Aber finden Sie sie selbst!
Gelonneck: (Klatscht in die Hände) Genau, mal selbst was machen!
Kippenberger: Das wäre Ihre Aufgabe für den Abend: Finden Sie acht Bilder plus x, um darüber nachzudenken, wie es weitergehen könnte!
Wir werden es versuchen.
Kippenberger: Verstehen Sie, Kunst wird ja nicht mehr gemacht, sondern nur noch betrachtet. Es wird nicht mehr gehäkelt, so wie Rosemarie Trockel das machte...
Gelonneck: ...als Abgesang auf das Machen der Weiber.
Kippenberger: ...richtig, und es wird nicht einfach stumpf gemalt und rumge- fuhrwerkt, sondern erklärt, erforscht, dargestellt. Also wo bleibt die kollektive Leistung? Kunst in dieser Form ist ein reiner Produktionsmechanismus. Es wird auf Nachfrage hin produziert, nicht auf Nachdenken. Das ist der Fehler.
Zum Terror in der Kunst. Herr Gelonneck, in "Bambiland" von Christoph Schlingen- sief, dem Produzenten dieses Stückes, beschreiben Sie die Attentate vom 11. September in New York und Washington als das "absolute Ereignis". Sie beschul- digen die USA, durch ihre unerträgliche hegemoniale Übermacht den unwiderstehlichen Wunsch nach ihrer Zerstörung zu wecken. Jetzt, wo die Herrschaft der Taliban und Husseins kläglich zusammengebrochen ist, Bin Laden nichts mehr als ein gehetzter Flüchtling ist - müssen Sie nicht alles widerrufen?
Gelonneck: Wir haben nichts verherrlicht, niemanden angeklagt und nichts gerechtfertigt. Man darf den Botschafter nicht mit seiner Kunde verwechseln. „Bambiland“ hat sich bemüht, einen Prozeß zu analysieren: den der Globalisierung, die durch ihre schrankenlose Ausdehnung die Bedingungen für ihre eigene Zerstörung schafft.
Betrifft das auch die Zerstörung der Kunst?
Gelonneck: Die Zerstörung der Kunst im Besonderen. Denn mich als Künstler trifft sie ja zuerst, noch vor der politischen und sozialen. Wenn ich sage „Hitler war ein Arschloch“, dann meine ich damit den Künstler Hitler, den Maler Hitler, nicht den Führer.
Kippenberger: Für den Zuhörer ist das aber ein und dieselbe Soße.
Gelonneck: Richtig, Martin. Die Differenzierung aber kann ich nicht auch noch leisten. Das ist die Sache des verehrten Publikums.
Lenkt das Theater aber damit nicht einfach von der Tatsache ab, daß identifizierbare Verbrecher und Terroristen für die Anschläge verantwortlich sind?
Gelonneck: Das sehe ich ganz anders. Es ist keine Ablenkung, sondern eine Hinlenkung. Auf der Bühne oder im Fernsehen sind die Terroristen präsent, zum Greifen nahe. Trotzdem bewegen Sie sich frei. Darauf muß man erst einmal hinweisen.
Kippenberger: Es ist schließlich auch eine Hinlenkung darauf, daß wir alle terroristische Geister sind, im Leben und in der Kunst.
Gelonneck: Das Ereignis vom 11. September in all seiner symbolischen Bedeutung läßt sich so nicht auslöschen. Die moralischen Reaktionen, auch aus der Kunst, sind völlig unzulängliche Ersatzhandlungen.
Kippenberger: Die USA haben eine barbarische Unterdrückung beendet und dem afghanischen Volk eine Chance zum Neubeginn in Frieden gegeben. Es wäre nur konsequent, würden sich die USA aus den gleichen Motiven jetzt selbst vernichten.
Gelonneck: Selbstzerstörung ist die wahre Kunst, dafür stehen Namen wie Abramovic, Kerstin Grassmann und sicher auch Hosea Dzingirai. "Kunst und Gemüse" ist ein Anfang.
Kippenberger: Es gibt keinen gerechten Krieg. Warum also gibt es gerechte Kunst?
Aber warum sollte sich die Kunst gegen sich selbst richten, warum sollte sie Amok laufen, da sie doch eine Art Freiheit, Wohlstand und Glück für alle verheißt?
Kippenberger: Das ist eine utopische Sicht, die Reklame gewissermaßen. Aber es gibt kein gänzlich positives System. Im allgemeinen sind positivistische Kulturutopien äußerst mörderisch, wie Naturalismus und Moderne gezeigt haben.
Gelonneck: Kunst ist eine Form der Kolonisierung, getarnt als Ausbreitung der westlichen Zivilisation. Die Kultur befreit die Menschheit nicht, sie verdinglicht sie.
Kippenberger: Hans Hollmanns Meinung, das Theater beginne sich in die Gesellschaft zu integrieren, war und bleibt die düsterste Prophezeiung, die ich je über das Theater gehört habe.
Ist "Kunst und Gemüse" ein Befreiungsschlag gegen solche Tendenzen?
Kippenberger: Das bleibt zu hoffen.
Gelonneck: Wir arbeiten dran. Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Artikel- und Materialübersicht zu Kunst & Gemüse, A. Hipler
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Kunst & Gemüse
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KUNST UND GEMÜSE, A. HIPLER
Präsentiert von der Volksbühne Am Rosa-Luxemburg-Platz
Regie: Hosea Dzingirai, Co-Regie: Park Yung Min, Buch: Angela Jansen
Darsteller: Karin Witt, Maria Baton, Kerstin Grassmann, Katharina Schlothauer, Christiane Tsoureas, Ulrike Bindert, Anna Warnecke, Andrea Erdin, Reami Rosignoli, Peter Müller, Horst Gelonneck, Maximilian von Mayenburg, Christian Roethrich, Arno Waschk und das Schöneberger Schönberg-Orchester e.V. , Mario, Babba, Winnie, Simon und King David
Eine Christoph-Schlingensief- Produktion
Bühne: Thekla von Mülheim, Marc Bausback, Tobias Buser; Kostüm: Aino Laberenz; Video: Monika Böttcher; Videoassistenz: Heike Schnepf; zusätzliche Videos: Meika Dresenkamp, Robert Kummer; Musikalische Leitung: Uwe Altmann; Dramaturgie: Carl Hegemann; Dramaturgische Beratung: Henning Naß; Künstlerische Mitarbeit u. Internetredaktion: Jörg van der Horst; Licht: Torsten König; Ton: Wolfgang Urzendowsky; Regieassistenz: Sophia Simitzis; Kostümassistenz: Anne-Luise Vierling; Webdesign: Patrick Hilss; Inspizienz: Karin Bayer; Regiehospitanz: Sarah Bräuer, Hedi Pottag, Kai Krösche; Betreuung: Nathalie Noell
Mit besonderem Dank an: Dr. Thomas Meyer (Charité Berlin) und Jörg Immendorff
Premiere am 17.11.2004 im Großen Haus der Volksbühne Berlin
Externe Links
- Charité ALS-Seite
- Immendorf-Stipend.
- Schlingensief-ALS
- Volksbühne Berlin
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