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"Alles Theater rund um die Wirklichkeit" - Vierter Tagesbericht der Proben von "Kunst & Gemüse"
Nachdem am Endprobenmittwoch Horst Gelonneck zum Ensemble stieß, Hosea Dzingirai seinen persönlichen Assistenten David vom Flughafen Tegel abholte, betrat heute erstmals die 1994 an ALS erkrankte Angela Jansen den Großen Saal der Volksbühne, um den Arbeiten am vom ihr initiierten Projekt abzunehmen.
Gesonderte Behandlung hat sich Frau Jansen ausdrücklich verbeten: "Ich bin nicht krank, ich kann mich nur nicht bewegen." Mit einem einzigen Satz beschreibt sie den Zustand des Theaters, ohne daß es gemeint war. Theater ALS Krankheit: "Die wichtigsten Diagnosen trifft man dort, wo man gar nicht geforscht hat."
In 2002 wird Angela Jansens Nicht-Krankenbett mit einem augengesteuerten Kommunikationssystem ausgestattet, über das sie sich mitteilt, und über das sie den Ensemblemitgliedern, Regisseur Dzingirai und Produzent Schlingensief einen von vielen theoretischen Unterbauten von "Kunst und Gemüse" vorstellt:
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"Kunst & Gemüse" Initiatorin Angela Jansen bei der Probe (Foto: Schnepf) |
Liebe Freunde,
nichts ist wirklicher als das Nichts und A. Hipler ist sein Prophet. Die erste Regiearbeit meines langjährigen Freundes, des in Südafrika gefeierten, in Simbabwe gefolterten Hosea Dzingirai reklamiert die stetige Übermalung der Realität durch die Fiktion, die das Zeitalter der Annäherung zwischen Ästhetik und Authentizität ablöst.
Die bloße Medieninszenierung von Politik, von Medien selbst, von Kunst und ihren Schöpfern (wohl eher apokalyptische Reiter) ist schon wieder veraltet, der Blick auf die Mediokratie begründenden Formate schon wieder ein romantischer Blick zurück. Die multimedialen Bilder der Kollision von Fiktion und Fakt, von Illusion und Idee, die im TV die Big Brother-Ära, im Theater die Performativität und den Minister im Kochstudio hervorgebracht hat, sind versendet. Über die als Worst Case Scenario getarnten Dreharbeiten zum 11. September 2001 schon wieder weit hinaus, stehen wir nicht an, wir stehen direkt auf der Schwelle einer Zeit, in der die Infiltrierung des Wirklichen durch das Spiel nicht mehr hinterfragt, sondern lediglich noch gedankenlos hinge- nommen wird. Die Wirklichkeit selbst, die historische, die zeitgenössische und die zukünftige, ist Teil des Spiels, das seinerseits wiederum behauptet, Fakt zu sein. Die Spielleiter dramatisieren nicht mehr, sie treffen Tatsachenentscheide. Alle Texte sind zu lang, der Sinn zu kurz.
Uns droht kein Gott mehr, wir sind es selbst; keine ungeschönte Wahrheit, solang noch die Lüge Präsidenten macht: Die Wiedervereinigung als Ostalgie- show, das Dritte Reich als Doku-Soap, Deutsche im Dschungelsimulator (simulierte Deutsche wären erträglicher gewesen) und ein Bambi für den besten Hitler; Sein und Schein als Synonym des jeweils anderen. Vom wahrhaften Handeln, vom Vormachen zur Nachmacherei, ist es – auch hier gleich "for mankind" – nur ein kleiner Schritt. Der Rest für den Boulevard – Brisant, Brigitte, BILD...: der Regierungschef unter dem Sauerstoffzelt, der Serienstar vorm Strafrichter, aus jedem Dutzendgesicht blickt die Menschheit. Es konterminieren sich Denken und Gedachtes, Faktum und Fingierung, Medium und Macht, Original und Kopie, Natur und Kultur, Kunst und Gemüse...
Vom kleinen zu keinem Unterschied, in diese Kunst/Welt der fortschreitenden Übermalung führt Hiplers Weg – unser Weg. Ich danke Euch für Eure beherzte Arbeit, die so wirklich ist.
Die Abendprobe findet nicht statt.
Artikel- und Materialübersicht zu Kunst & Gemüse, A. Hipler
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Kunst & Gemüse
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KUNST UND GEMÜSE, A. HIPLER
Präsentiert von der Volksbühne Am Rosa-Luxemburg-Platz
Regie: Hosea Dzingirai, Co-Regie: Park Yung Min, Buch: Angela Jansen
Darsteller: Karin Witt, Maria Baton, Kerstin Grassmann, Katharina Schlothauer, Christiane Tsoureas, Ulrike Bindert, Anna Warnecke, Andrea Erdin, Reami Rosignoli, Peter Müller, Horst Gelonneck, Maximilian von Mayenburg, Christian Roethrich, Arno Waschk und das Schöneberger Schönberg-Orchester e.V. , Mario, Babba, Winnie, Simon und King David
Eine Christoph-Schlingensief- Produktion
Bühne: Thekla von Mülheim, Marc Bausback, Tobias Buser; Kostüm: Aino Laberenz; Video: Monika Böttcher; Videoassistenz: Heike Schnepf; zusätzliche Videos: Meika Dresenkamp, Robert Kummer; Musikalische Leitung: Uwe Altmann; Dramaturgie: Carl Hegemann; Dramaturgische Beratung: Henning Naß; Künstlerische Mitarbeit u. Internetredaktion: Jörg van der Horst; Licht: Torsten König; Ton: Wolfgang Urzendowsky; Regieassistenz: Sophia Simitzis; Kostümassistenz: Anne-Luise Vierling; Webdesign: Patrick Hilss; Inspizienz: Karin Bayer; Regiehospitanz: Sarah Bräuer, Hedi Pottag, Kai Krösche; Betreuung: Nathalie Noell
Mit besonderem Dank an: Dr. Thomas Meyer (Charité Berlin) und Jörg Immendorff
Premiere am 17.11.2004 im Großen Haus der Volksbühne Berlin
Externe Links
- Charité ALS-Seite
- Immendorf-Stipend.
- Schlingensief-ALS
- Volksbühne Berlin
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