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Unpolitisches Regietheater...
Von F.J. Bröder
Berlin. Erst fordert der Bundespräsident als "oberster Theaterpädagoge der Nation" von den Regisseuren mehr "werktreue" Verneigung vor den Klassikern, dann weist ihn der Bundestagspräsident in die Schranken und bricht eine wohlfeile Lanze für die Kunstfreiheit des Theaters. So geschehen beim diesjährigen Berliner Theatertreffen, das am Wochenende zu Ende geht. Wer jedoch aus der Kontroverse auf eine Rückkehr des Politischen auf das Theater schließt, irrt: bei der zum 42. Mal in Berlin veranstalteten "Leistungsschau der deutschen Bühnen" triumphierte wie eh und je ein eher unpolitisches Regietheater, das sich einen Teufel um "Werktreue" oder eine zeitgemäße Deutung klassischer Stücke schert, sondern sich gnadenlos und postmodern selbst feiert.
Wie etwa in Frank Wedekinds Sexualtragödie "Lulu", die in Michael Thalheimers Regie am Thalia Theater Hamburg auf eine Ausziehorgie der Männer reduziert wird, die sofort die Hosen runter lassen, wenn sie der Kindfrau Lulu ansichtig werden.
Eine völlig leer geräumte auch in Edward Albees "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" des Deutschen Theaters Berlin. In Jürgen Goschs Regie wird die Gesellschaftsstudie der 60er Jahre mit Corinna Harfouch und Ulrich Matthes zwar zur Sternstunde eines grandiosen Schauspielertheaters, einen neuen Aspekt kann diese Inszenierung der "Strindbergschen Ehehölle" jedoch auch nicht abgewinnen.
Konsequenter und radikaler ist da schon Christoph Schlingensief mit "Kunst und Gemüse. A. Hipler" der Berliner "Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz": ein "Regiekunstwerker, der Theater als Selbst- und Schmerztherapie" begreift – und beim Wort nimmt, wenn er seine vorjährigen Erfahrungen als "Parsifal"-Regisseur in Bayreuth in einer glänzenden Parodie der Familie Wagner auf der Bühne vorführt und sich nicht scheut, die "Oper ALS Krankheit" zu bezeichnen und sie leibhaftig in Gestalt einer unheilbar an ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) erkrankten Patientin gleichsam "auszustellen", um die gegenwärtige "Lähmung des Theaters" und des Kunstbetriebs drastisch zu demonstrieren.
Ein gewagtes, in seiner politischen Symbolik jedoch verständliches und nachvollziehbares Experiment, auf das sich das Schauspielhaus Zürich mit Stefan Puchers Inszenierung einer Theaterfassung von Max Frischs Roman "Homo faber" nur halbherzig einlässt. Dies ist zwar ein brillantes Spiel mit medialen Versatzstücken, rundet aber die Spurensuche des modernen Menschen nach seiner Identität nicht zum gelingenden Ganzen ab. Patchwork-Theater also, wie es sich auch in der Uraufführungsinszenierung von Lutz Hübners "Hotel Paraiso" des Schauspiels Hannover zeigt, das in Barbara Bürks Regie die Sprachlosigkeit der zeitgenössischen deutschen Theaterautoren am Beispiel dieses meistgespielten deutschen Gegenwartsdramatikers vorführt. – Aber vielleicht ist die Misere des Berliner Theatertreffens eine Misere der Jury, die im Mainstream der großen Bühnen und im "namedropping ihrer Regisseure" übersieht, was in der "Theaterprovinz" geleistet wird – und was sich manchmal durchaus auch in Berlin sehen lassen könnte, wenn es nur ins Blickfeld der Theateroligarchen geriete.
Der Donaukurier, 21.5.2005
Artikel- und Materialübersicht zu Kunst & Gemüse, A. Hipler
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Kunst & Gemüse
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KUNST UND GEMÜSE, A. HIPLER
Präsentiert von der Volksbühne Am Rosa-Luxemburg-Platz
Regie: Hosea Dzingirai, Co-Regie: Park Yung Min, Buch: Angela Jansen
Darsteller: Karin Witt, Maria Baton, Kerstin Grassmann, Katharina Schlothauer, Christiane Tsoureas, Ulrike Bindert, Anna Warnecke, Andrea Erdin, Reami Rosignoli, Peter Müller, Horst Gelonneck, Maximilian von Mayenburg, Christian Roethrich, Arno Waschk und das Schöneberger Schönberg-Orchester e.V. , Mario, Babba, Winnie, Simon und King David
Eine Christoph-Schlingensief- Produktion
Bühne: Thekla von Mülheim, Marc Bausback, Tobias Buser; Kostüm: Aino Laberenz; Video: Monika Böttcher; Videoassistenz: Heike Schnepf; zusätzliche Videos: Meika Dresenkamp, Robert Kummer; Musikalische Leitung: Uwe Altmann; Dramaturgie: Carl Hegemann; Dramaturgische Beratung: Henning Naß; Künstlerische Mitarbeit u. Internetredaktion: Jörg van der Horst; Licht: Torsten König; Ton: Wolfgang Urzendowsky; Regieassistenz: Sophia Simitzis; Kostümassistenz: Anne-Luise Vierling; Webdesign: Patrick Hilss; Inspizienz: Karin Bayer; Regiehospitanz: Sarah Bräuer, Hedi Pottag, Kai Krösche; Betreuung: Nathalie Noell
Mit besonderem Dank an: Dr. Thomas Meyer (Charité Berlin) und Jörg Immendorff
Premiere am 17.11.2004 im Großen Haus der Volksbühne Berlin
Externe Links
- Charité ALS-Seite
- Immendorf-Stipend.
- Schlingensief-ALS
- Volksbühne Berlin
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