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"Ich ALS Ich" - Gespräch der "theatertreffen"-Festivalzeitung mit Angela Jansen
Angela Jansen spielt eine Hauptrolle in der Christoph - Schlingensief - Produktion "Kunst und Gemüse, A. Hipler". Wir treffen die 49jährige in ihrer Charlottenburger Wohnung. Im März 1995 wurde bei der diplomierten Pädagogin und zweifachen Mutter Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) diagnostiziert. Mittlerweile ist ihr gesamter Körper gelähmt, nur ihre Augen kann sie bewegen. Manchmal lächelt sie. Seit 1998 wird sie über eine Magensonde ernährt und künstlich beatmet , ein Pflegeteam betreut sie rund um die Uhr. Angela Jansen kommuniziert über Eyegaze, ein elektronisches System, das ihr erlaubt, mit den Augen eine Bildschirmtastatur zu bedienen. Jeder Buchstabe macht ein klickendes Geräusch. „Hallöchen“, begrüßt sie uns.
Frau Jansen, braucht ALS eine Bühne?
Unbedingt. Man kann nämlich damit LEBEN! Man muss es natürlich wollen. Aus dem Phlegma in Aktivität zu kommen heißt für „Gesunde“: Aufstehen und Losgehen. Für mich heißt das: Fünf Leuten und der Kasse klarmachen: Bewegt Euch. Ich muss in den Rolli, ich muss runter, die Beatmung muss mit. Mit der Volksbühne konnte ich ALLEN (auch der Kasse) zeigen und beweisen: ES GEHT!!! Man muss nur wollen – und das ist so wahnsinnig wichtig für alle anderen mit ALS. Meiner Meinung nach stirbt keiner beim heutigen Stand der Medizin einfach an ALS. Die sterben an gebrochenem Herzen.
Was bedeutet es für Sie,mit dem Eyegaze zu kommunizieren?
Es war ja vor dem Eyegaze nur Schreiben mit einer Zeigetafel möglich. Das war natürlich ätzend. Aber besser als stumm sein. Wenn man begriffen hat, dass die Welt sich gemeinerweise weiterdreht, ob ich nun was sage oder nicht, dann geht man ganz anders an das Eyegaze heran.
Ich habe es zu Beginn ganz einfach genossen , Geräusche zu machen, Gespräche zu unterbrechen. Denn um mich herum entwickelte sich das Leben wie um ein Aquarium: Ach kiekma, der Guppy da. Mit dem Eyegaze kann ICH unterbrechen, einfügen, bemerken. Selbst im Theater, wo ich ja auch nicht laut sein kann. Ich erinnere mich an das Ende der Vorstellung nach dem Tsunami. Alle gingen schon, ich dachte: egal, schreib’s einfach. Ich schrieb, dass wir heute für die Opfer der Flutkatastrophe gespielt haben. Tonlos, wohlgemerkt. Es gab tosenden Beifall. Das hat mich ungemein beeindruckt. Nicht die Sache an sich, sondern wie aufmerksam die Menschen mein Schreiben verfolgen.
Worum geht es für Sie in der Inszenierung?
Für mich ist es eine perfekte Darstellung der ALS. Die Vielfalt der gezeigten Bilder, die Verständnislosigkeit, das Terrorisierende, dazwischen die ruhigen, beschaulichen, fast romantischen Szenen – das alles stellt eigentlich diese Krankheit dar. An so ein Chaos ist man gewöhnt. Langsam, langsam findet man die Ordnung in diesem Stück - wie auch im Leben.
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Die ALS-Patientin und Initiatorin von "Kunst & Gemüse, A. Hipler" - Angela Jansen - bei der Endprobe zu Kunst & Gemüse im Nov. 2004 (Foto: Schnepf) |
Sie liegen mitten im Zuschauerraum. Wie hat das Publikum auf Sie reagiert?
Die ersten Vorstellungen waren am deutlichsten. Das ging von Erstaunen über Befremden bis hin zu Entsetzen, aber auch sehr viel Neugier. Man dachte wohl, ich stünde danach auf und ginge nach Hause. Mittlerweile ist das Entsetzen weniger geworden. Die Leute schauen mich direkter an.
Begreifen Sie sich als Teil einer Inszenierung oder findet hier so etwas wie Authentizität statt? Sind Sie auf der Bühne Sie selbst?
Ja. Ich bin ich. In Schlingensiefs Stück heißt es immer wieder: "Theater ALS Krankheit". ALS wird zum Bild für den Zustand des Theaters.
Finden Sie diesen Vergleich passend?
Ja. Ich find es toll, wie Christoph das Theater aufzuwecken versucht. Es ist eine sympathische und aktive Veränderung. Mir macht es Spaß. Sicher ist das ein Lernprozess für viele. Aber Lernen macht doch Spaß.
Sie fühlen sich nicht instrumentalisiert?
Nö.
An einer Stelle in dem Stück schreiben Sie: "ALS ist Terror".
Genau. Gerade die Szene im Flugzeug hat so viel gemeinsam mit ALS. Man erlebt ja - wie im Stück - den Verfall, das Chaos, den Terror bei vollem Bewusstsein mit, die Ohnmacht der Situation gegenüber. Man sieht, wie das eigene Leben völlig zusammenbricht, und dann kommt es darauf an: will ich, kann ich, lässt man es mich wieder aufbauen.
In einer anderen Szene schauen die Darsteller dem von Ihrem Bett davonschwebenden Laken nach und staunen: "Zauberei!". Sie hingegen schreiben: "Krankheit ist keine Zauberei".
Es kann keine Zauberei sein. Bei aller Mühe, die sich die Forscher geben - niemand kriegt das Kaninchen aus dem Hut hervor. Auch nicht mit Hokuspokus. Ich glaube eher an die harte Arbeit an den Forschungsstätten - das ist die größere Hoffnung.
Was bedeutet es für Sie, mit dem Stück zum Theatertreffen eingeladen zu sein?
Ich hab den Mund noch nicht ganz zu. Das ist so eine Überraschung und Ehre. Aber ich will das auch nutzen für die anderen, für die Forschung, fürs Publikum. Das muss und kann noch viel bekannter werden. Aber das hilft nicht nur der ALS. Mich fasziniert dabei auch der Bezug zum Theater und was sich dort tut.
Was kommt für Sie nach "Kunst und Gemüse"?
Ich hab eine Menge Ideen und ein unfertiges Buch - also muss ich schon ranklotzen. Nur: Öffentlichkeitsarbeit ging für mich seit der "Kunst und Gemüse"-Reaktion immer vor. Außerdem habe ich meine Familie und mein eigenes Leben. Ich bestehe ja darauf, so viel wie möglich selbst zu "machen". Dauert natürlich - aber stärkt das Ego.
Artikel- und Materialübersicht zu Kunst & Gemüse, A. Hipler
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Kunst & Gemüse
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KUNST UND GEMÜSE, A. HIPLER
Präsentiert von der Volksbühne Am Rosa-Luxemburg-Platz
Regie: Hosea Dzingirai, Co-Regie: Park Yung Min, Buch: Angela Jansen
Darsteller: Karin Witt, Maria Baton, Kerstin Grassmann, Katharina Schlothauer, Christiane Tsoureas, Ulrike Bindert, Anna Warnecke, Andrea Erdin, Reami Rosignoli, Peter Müller, Horst Gelonneck, Maximilian von Mayenburg, Christian Roethrich, Arno Waschk und das Schöneberger Schönberg-Orchester e.V. , Mario, Babba, Winnie, Simon und King David
Eine Christoph-Schlingensief- Produktion
Bühne: Thekla von Mülheim, Marc Bausback, Tobias Buser; Kostüm: Aino Laberenz; Video: Monika Böttcher; Videoassistenz: Heike Schnepf; zusätzliche Videos: Meika Dresenkamp, Robert Kummer; Musikalische Leitung: Uwe Altmann; Dramaturgie: Carl Hegemann; Dramaturgische Beratung: Henning Naß; Künstlerische Mitarbeit u. Internetredaktion: Jörg van der Horst; Licht: Torsten König; Ton: Wolfgang Urzendowsky; Regieassistenz: Sophia Simitzis; Kostümassistenz: Anne-Luise Vierling; Webdesign: Patrick Hilss; Inspizienz: Karin Bayer; Regiehospitanz: Sarah Bräuer, Hedi Pottag, Kai Krösche; Betreuung: Nathalie Noell
Mit besonderem Dank an: Dr. Thomas Meyer (Charité Berlin) und Jörg Immendorff
Premiere am 17.11.2004 im Großen Haus der Volksbühne Berlin
Externe Links
- Charité ALS-Seite
- Immendorf-Stipend.
- Schlingensief-ALS
- Volksbühne Berlin
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