 |
 |
|
 |
 |
Deutscher Pavillon 2011: Christoph Schlingensief
Schlingensiefs sakrale Kulisse in Venedig (Berliner Morgenpost)
Christoph Schlingensief war mit der Gestaltung des Deutschen Pavillons auf der Biennale in Venedig beauftragt. Doch seine Pläne waren nicht weit genug gediehen, als der Künstler im Sommer 2010 starb. Nun werden seine bereits existierenden Werke gezeigt.
Die Kunst war zu groß für das Leben, das Leben zu kurz für die Kunst. Und die Unverhältnismäßigkeit hat ihren eigenen Namen: Christoph Schlingensief, Filmemacher, Performer, Opern- und Theaterregisseur, Künstler, eingeladen zur Biennale in Venedig, gestorben, bevor die Projekte über die Skizze hinaus gedeihen konnten. Es war richtig, dass Susanne Gaensheimer, die deutsche Kommissarin und Frankfurter Museumsdirektorin, an ihrer Schlingensief-Kür festgehalten und dabei aller Versuchung widerstanden hat, den Nachlass im Memorial zu adeln. Ihre venezianische Ausstellung, zusammen mit Schlingensiefs Witwe Aino Laberenz eingerichtet, gibt auf denkbar angemessenste Weise Einblick in ein ausuferndes, bis heute nicht vollends verstandenes Werk. Vor dem Hintergrund der hoch spekulativen Ausstellungsgeschichte, die sich hier alle zwei Jahre wieder erneuert, gehört die bedachte Werkauswahl zu den eindrücklichsten Präsentationen im deutschen Pavillon.
Dass man hinter dem mit einer Bretterwand verstellten Portal in eine veritable Kirche gerät, sollte niemanden auf allzu viel Innerlichkeit hoffen lassen. Das Bühnenbild erweist sich rasch als Ort der schieren Entäußerung, als brüchig sakrale Kulisse für die Selbstbegegnung des Künstlers mit seiner Krankheit, dem drohenden Tod, mit den maßlosen Ansprüchen an die Kunst als verzehrende Lebensform.
Eine heilig unheilige Handlung
Kirchenbänke, Altaraufbau, Glasfenster, Kerzentisch, Tabernakel, Kanzel, Schrein, Röntgenaufnahmen, es sind allesamt Relikte des Fluxus-Oratoriums "Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir", das Schlingensief bei der Ruhrtriennale 2008 inszeniert hat. Die Teile fügen sich in das venezianische Ausstellungshaus, als habe der Künstler schon damals Maß an ihm genommen. Nur dass jetzt niemand mehr da ist, der die heilig unheilige Handlung zelebrieren könnte. Auf dem roten Plastikthron sitzt keine kleinwüchsige Bischöfin mehr, das Krankenbett ist abgezogen, der Lungenflügel aus gebackenem Teig, den der lungenkranke Schlingensief wie eine Monstranz vorgezeigt hatte, liegt in der Vitrine verschlossen, und wenn es still ist, hört man den Metronom auf dem Altartisch seinen unendlichen Rhythmus klacken, dass man nicht weiß, ob es Trost ist oder Gnadenlosigkeit.
Seltsam lebendig scheinen nunmehr die Projektoren, deren nervöser Bilderwurf in alle Himmels- und Erdrichtungen noch einmal an die sprunghafte Ästhetik des Künstlers erinnert. An den Seitenwänden ist er in der Rolle von Veteranen der Fluxus-Kunst wie Joseph Beuys, Valie Export, Günter Brus oder Name June Paik zu sehen. Im Altarraum verfließen die Filmsequenzen zu einem großen Rondo vom Leben und Sterben. Und es ist, wenn man so ungläubig und ganz ohne konfessionelle Not auf der gepolsterten Kirchenbank harrt, als blätterte einer schnell und ohne viel System durch sein Lebensalbum und stellte beim hastigen Blättern fest, wie eine Seite die andere aufschlägt und ein Bild in das andere übergeht und eine Phase die andere mit Energie versorgt.
Wer Schlingensief-erfahren ist, entdeckt alte Motive wieder. Die katholischen Wurzeln, die erst einmal auszureißen waren und die man doch nie mit Stumpf und Stil entfernt. Die Symbolik der Opfer, die Arbeit mit Kleinwüchsigen und Behinderten als den eigentlichen Schmerzfiguren des beschädigten Lebens. Das verwehte Kinderglück. Die Selbststilisierung des Künstlers als Parsifal. Aber Anleitung braucht man keine und nicht viel Übersetzung fürs internationale Publikum. Es ist schon geistvolle Dramaturgie, wie der Künstler den toten Hasen noch einmal belebt, dem Beuys in einem Akt visionärer Schöpfungsdemut die Bilder erklären wollte. Nicht ohne Ironie schlüpft Schlingensief in den Pelzmantel, den der Priesterkünstler zur Hasenkur anzulegen pflegte, und in einer "Fettecke" der Kirche hängt der Hase, als sei er vom Jäger gerade zur Strecke gebracht worden, und auf dem Altar steht er ausgestopft und lässt die Löffel hängen, und im Film verwest er langsam und grauslich vor sich hin.
Alles im Werk ist Übergang
Christlich würde man von Wandlung sprechen. Im Kunsttext heißt das Kennwort Fluxus. Und vielleicht begreift man erst hier und jetzt, wie Schlingensief den alten Code der aktionistischen Kunst auf eine existenzielle Weise ernst genommen hat. Alles in diesem unvergleichlichen Werk zielt auf Übergang, Grenzunschärfe, Fließen und Verfließen. Fluxus ist wie die permanente Selbstermächtigung zur Tat, zum Aufruhr, zum Aufmischen, zum sich immer wieder neu entzündenden Engagement. Dass etwas wirklich Form geworden wäre, könnte man weder von den Filmen und ihrer mäandernden Bildwelt sagen noch von den Inszenierungen, an die man sich erinnert wie an Zeugnisse steter Überhebung und Überforderung.
Der Mann programmierte sich gleichsam sein eigenes Betriebssystem. Und wenn jetzt am stolzen Lokalnamen "Germania" über dem deutschen Kunsttempel in den venezianischen Giardini die ersten drei Buchstaben mit einem dicken schwarzen "Ego" überschrieben sind, dann meint dieses irritierende "Egomania" nicht eitle Selbstbespiegelung, meint vielmehr Auflösung des künstlerischen Subjekts im Strom des Fühlens, Denkens und Wollens.
Man hat den Kunst- und Lebensentwurf Schlingensief zuweilen als naiv beschrieben. Auch der Einsatz des Künstlers in den letzten Jahren für sein "Operndorf" im schwarzafrikanischen Burkina Faso scheint nicht ganz frei von verletzlicher Gutartigkeit. Der Künstler wollte seine schwarzen Mitspieler zu Selberspielern machen. In der aufzubauenden Schule müssten die Kids nicht nur Lesen und Schreiben lernen, so war der Plan, und so ist der Plan, sondern mehr noch zum eigenen Ausdruck kommen.
Wenn es nach dem Willen Schlingensiefs gegangen wäre, hätte der ganze Biennale-Auftritt auf der rötlich braunen Erde von Ouagadougou gründen sollen, und das Publikum hätte sich in der Arena nationaler Kunstrepräsentation jählings seinen exotistischen Sehnsüchten gegenüber gesehen. Jetzt ist "Remdoogo" neben Kirche und Kino der andere Flügel des Schlingensief-Triptychons. Ein kleines Dokumentationszentrum, das über den Entwicklungsstand des von Aino Laberenz weiter betriebenen Projekts informiert.
Man kann auch in "Remdoogo" den Geduld fordernden Rundgang beginnen. Es gibt keine Führungslinie. Von Anbeginn war alles kämpferische Verweigerung der überlegenen Künstlerrolle, Selbstauslieferung bis an die Schmerzgrenze und über sie hinaus, erschöpfende Hingabe ohne den Beweisdruck des politischen Aktivisten, ohne das Pathos selbstloser Entwicklungshilfe. Vielleicht gibt es ja gute Kunst so, wie es gute Menschen gibt. Aber dass die Kunst nicht besser würde, wenn ihr das Gewissen schlägt, davon war Christoph Schlingensief überzeugt. So gesehen ist es keine geringe Leistung, der Kunst standgehalten zu haben, die zu groß war für das Leben. Und dass dann das Leben zu kurz war für die Kunst, ist nicht das Schlechteste, was man über die Kunst sagen kann.
Von Hans-Joachim Müller, Berliner Morgenpost vom 1.6.2011
Materialübersicht zur Biennale di Venezia 2011
|
 |
 |
 |
|
 |