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Friedfertiger Krach
Kunstwuselei auf alter Militärbasis: Christoph Schlingensiefs "Parsipark" bei Neuhardenberg
Berliner Morgenpost, 22.8.2005
Reinhard Wengierek Aktionskünstler Christoph Schlingensief, der in Bayreuth Wagners "Parsifal" inszenierte, macht mit seinem Langzeitprojekt "Odins Parsipark" nach Island jetzt auf dem Flugplatz Neuhardenberg Station; demnächst geht es nach Wien.
Die Sonne versackt hinterm Horizont, ein blutrot glühender Himmel, der Wald wie eine Wand, auf die wir zufahren. Von Schloß Neuhardenberg, tief östlich von Berlin, im Bus zum naheliegenden, stillgelegten Nazi-NVA-Flugplatz. Oben das Rot, unten die Dunkelheit, ein Idyll wie gemacht für Musik von Richard Wagner, für Meditation und Erleuchtung. Doch aus dem Cockpit des Busfahrers dudeln Schlagerschnulzen. So geht das Leben: Ins Erhabene haut das Banale, ins Friedliche der Krach.
Das paßt auf Christoph Schlingensief, den dadaistischen Aktionisten, der darauf aus ist, alles Disparate des Daseins verwirrend in eins zu gießen mit seinen Kunstaktionen. Wie jetzt wieder mit "Odins Parsipark" in den Ruinen der verrottenden Militärbasis, in diesem märchenhaften Winkel der Mark, der zugleich ein Totenacker ist. Hier verreckten 1945 Tausende. Und hier besang 85 Jahre zuvor Fontane die Schönheit der Natur.
Ein lieblicher Ort mit der Fratze des Mörderischen - wie geschaffen für Schlingensief, der sich spätestens seit seiner Bayreuther "Parsifal"-Produktion immer tiefer hineinwühlt in die Gipfelstürmerei wie die Höllenstürze des Menschseins und also in lauter letzte Fragen nach Sinn, Leiden, Erlösung, Tod und - eventuellem - Danach. Just dafür erfand er eins seiner schlüssigsten Bilder: das zusammengeschnittene Zeitraffer-Video eines verwesenden Hasen; ein Kadaver, in dem sich neues Leben breit macht - das der Kleinorganismen. Dazu Wagners "Parsifal"-Erlösungsmusik. Ein überwältigendes philosophisch-religiöses Sinnbild, das Schlingensiefs virtuos-kryptisches, hochgestochen-banales Werk auf den Punkt bringt.
Ansonsten: Wuselei. Wir stolpern wie weiland Hänsel und Gretel durch den Wald. Auch ist es wie beim Ostereiersuchen. In den Ruinen die Nester. Und ihre Eier (Videos, Tonschleifen, Graffiti, Basteleien) vermitteln Botschaften von Fern oder Nah: Da trifft die nordische Sagenwelt des Kriegsgottes Odin auf Parsifals Hasen-Gral, Wagner dröhnt dem grinsenden Vollmond entgegen, daneben die qualvolle Endlosschleife mit dem Gequiek eines Schweins vorm Abstich, ein Wernher-von-Braun-Darsteller bastelt an der V2, dazu Bilder vom US-Atombombenabwurf, von afrikanischen Hungerdramen heute, daneben das Nasa-Mondmobil. Aha: die Gier nach Macht, der Griff ins Außerirdische, das irdische Elend.
In zwei Hexenhaus-Höhlen die so genannten Animatographen, deren "Vorgänger" auf der Bühne von Bayreuth und auf Island standen und die demnächst, als fortschreitende Müll- und Bildersammlung, in Namibia und Wien Station machen sollen: begehbare Drehscheiben voll mit Artefakten der Zivilisation und Übertragungsgeräten. Man sieht pornografische Nazi-Parodien, archaische Kulte oder Sex-Rituale. Dazu eine Tonspur aus Hitchcocks "Psycho", Adornos Kapitalismuskritik und Muezzin-Geschrei über verlorenen Grabkreuzen. - Kreuzweg und Kakophonie der Zeiten und Welten. Wir mutig Lebenden und zugleich angstvoll Todgeweihten hopsen wie Hasen umher im Kadaver der wirren Mythen und Menschengeschichte. Erlösung liegt im Hasentod. Soviel steht fest, ob dies nun tröstlich ist oder nicht.
Rockstar Patti Smith, hingebungsvolle Schlingensiefianerin und privat unterwegs, ist ergriffen. Man müsse nur "mit dem Herzen eines Kindes" schauen. Doch immerzu durchstechen Mücken unsere kindliche Erleuchtung.
Materialübersicht zum Animatograph Odins Parsipark
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Parsipark Dossier
- Programmheft zum Parsipark (PDF)
- Interview von Gerhard Ahrens
- Anleitung zum Selbstritual
- Pressemitteilung
- Vorabbericht
- Muezzin: Die Feigenbäume (PDF)
- Pressemitteilung der NASA (PDF)
- Parsipark Plakat (PDF)
- Animatographie als demokratische Projektion (PDF)
- Pressemappe: hochaufgelöstes Bildmaterial (ZIP)
Bilderstrecken
- Die Premiere
- Dreharbeiten zu Odins Parsipark
- Planskizzen
Pressestimmen
- Salzburger Nachr.
- Frankfurter R. (PDF)
- FAZ (PDF)
- Berliner Ztg. (PDF)
- Tageszeitung (PDF)
- Die Welt (PDF)
- Der Standard (DOC)
- Süddeutsche (PDF)
- Tagesspiegel (PDF)
- Sächsische Ztg. (PDF)
- Berliner Mopo (PDF)
- Märkische Allg. (PDF)
- Radiokritik DLF, WDR, RBB (MP3)
Verwandte Projekte
- Animatograph Island Edition
- Animatograph Afrika Edition
Externe Links
- Stiftung Schloss Neuhardenberg
- tba-21 Homepage
DER ANIMATOGRAPH – ODINS PARSIPARK
Kampf der Götter – Die Reise zum Mittelpunkt der Erde
Deutschland-Edition – »Midgard -> Ragnarök / Götterdämmerung«
Erste ur-animatographische Installation mit sechs Aktionen
Stiftung Schloss Neuhardenberg
19., 20., 21., 26., 27., 28. August 2005
Regie: Christoph Schlingensief
Bühne: Tobias Buser; Aufbau, Technik: Udo Havekost, Harry Johansson;
Kostüme, Fotos: Aino Laberenz;
Requisite: Markus M. Thormann;
Video: Meika Dresenkamp, Kathrin Krottenthaler;
Dramaturgie: Jörg van der Horst;
Regieassistenz: Hedwig Pottag;
Kostümassistenz: Lisa Kentner;
Internet: Jens Gerstenecker;
Künstlerische Beratung: Henning Nass;
Produktionsleitung: Celina Nicolay
Darsteller: Björn Thors, Sachiko Hara, Klaus Beyer, Karin Witt, Horst Gelloneck, Maria Baton, Helga von Paczenski, Achim von Paczenski, Andrea Erdin, Jürgen Drenhaus
Und erstmals, als Wernher von Braun: Markus M. Thormann
Technik: Matthias Warias;
Ton: Jens Voigtländer;
Video-Technik: Jens Crull;
Beleuchter: Hans Wiedemann;
Licht: Voxi Baerenklau
Produktion: Kristjan Schmitt; Produzent: Martin Siebert;
Technische Leitung:Thomas Schröder;
Hospitant: Johannes Maxim Zarnikow;
Produktionsfahrerin: Julia Egloff;
Betreuer Horst: Rainer Lembke, Björn Drese
Eine Produktion der Stiftung Schloß Neuhardenberg und von Christoph Schlingensief in Zusammenarbeit mit Thyssen-Bornemisza Art Contemporary, Vienna |
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