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Die Auferstehung des faulenden Fischs
Mit Hitchcock in Ragnarök: Christoph Schlingensief zelebriert in Neuhardenberg seine Geschichtsrevue "Odins Parsipark"
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.8.2005
Iris Hanika Christoph Schlingensief macht weiter. "Odins Parsipark" gehört zu einer größeren Arbeit, die "Der Animatograph" heißt und eine begehbare Fortsetzung seiner großartigen Bayreuther "Parsifal"-Inszenierung sein soll, welche er den "Ur-Animatographen" nennt. Nicht mehr im geschlossenen Theaterraum werde hier zum Raum die Zeit, sagt er, vielmehr sei der Vorgang nun "als Organismus den kosmischen Strahlen ausgeliefert". Der lange Untertitel lautet "Kampf der Götter - Die Reise zum Mittelpunkt der Erde. Deutschland-Edition - ,Midgard -> Ragnarök/ Götterdämmerung' von und mit Christoph Schlingensief/ Erste ur-animatographische Installation mit Aktionen". Am besten versucht man gar nicht erst, das zu verstehen, sondern nähert sich der Sache wie einer Wagner-Oper, mit einer gewissen Bereitschaft, sich überwältigen zu lassen. Ort des Geschehens ist, nach einer Station in Island und bevor es ins namibische Lüderitz weitergeht, der einstige Militärflugplatz in Neuhardenberg.
Neuhardenberg ist ein Dorf am Rande des Oderbruchs, unweit der Seelower Höhen. In der Kirche liegt das Herz des preußischen Kanzlers Hardenberg im Altar. Neben "Odins Runenliedern" tauchen auch diese beiden Dinge, Seelower Höhen und Kanzlerherz, in den verschiedenen Verlautbarungen zum "Parsipark" irgendwo auf, denn alles ist gut dafür, bemerkt zu werden; nichts ist zu abseitig, um nicht zum großen Ganzen beitragen zu können. So wird die Idee vom Gesamtkunstwerk konsequent zu Ende gedacht: Alles ist in Afri-Cola.
Der Abend beginnt am Neuhardenberger Schloß, wo Schlingensief erklärt, was auf einen zukommt. Grob zusammengefaßt, etwa folgendes: "Parsifal" inclusive Steigenberger-Festspielrestaurant; Fischgestank; der Film vom verwesenden Hasen, auf dem man vier Wochen in sechs Minuten sehen könne; die Gründung des ersten Parlaments in Island, also der Demokratie, welcher aber auch gleich die Lüge innewohnt; in einem Hitchcocks "Psycho" nachgebauten Ambiente Herzeleide im Streit mit ihrem Sohn Parsifal, dem sie die Waffe weigern will; Adorno, über den Kapitalismus sprechend, aber leicht verzerrt, weil er mangels Verständnis für Popmusik die Jugend nicht hatte um sich scharen können; die Nasa; Wernher von Braun, der gleichzeitig an der V2 und am A4 baut; die isländische Präsidentin; Klingsors Zauberschloß, das in den Weltraum geschossen wurde, wo es nun zwischen den Sternbildern kreist; Hagen von Tronje im Kampf mit einem Strauß. Und das ist nur ein Ausschnitt.
Das Publikum fährt in fünf Bussen durch die blaue Stunde ans andere Ende des wie ausgestorben daliegenden Dorfes. Wo ein Schild den Weg zum Trainingszentrum der Fachhochschule der Polizei weist, biegen die Busse in den Wald, und man vermeint sich in der "Zone", durch die der "Stalker" in Tarkowskijs Film führt. Kurz hinter dem einstigen Tower und Flughafengebäude mit seinen eingeschlagenen Fenstern trägt vor einem abgebrochenen großen Sandhügel eine Schauspielerin aus einer Broschüre der Gedenkstätte Seelower Höhen vor, bevor sie das geistig behinderte Ehepaar, mit dem Schlingensief ständig zusammenarbeitet, zu sich bittet, damit es von seinen Kriegserlebnissen berichte - was der Mann nicht leisten kann, weil er erst nach dem Krieg geboren wurde, und die Frau dazu nutzt, einige Gedichte vorzutragen.
Der eigentliche "Parsipark" liegt am Ende einer von Hangars gesäumten Betonstraße in und zwischen aufgelassenen Militärgebäuden der DDR. Als erstes ist das infernalische Geschrei von Schweinen zu hören, das einen die ganze Zeit nicht verlassen wird. Die zweite Geräuschkonstante ist die gewaltigste Stelle aus dem "Parsifal", die mit den Kirchenglocken im dritten Aufzug. Am Eingang steht neben einer flachen Baracke ein sehr hoher Schornstein, von dem ein Muezzin ruft. In der Baracke ist der Bayreuther "Parsifal" nachgestellt mit Drehbühne, Fischgestank, Hasenfilm. Dahinter liegt das Hitchcock-Haus, ein Stück weiter hört man auf einem Wachturm Adorno sprechen. Der Turm ist grob gezimmert, und auf einem ebensolchen singt ein paar Schritte weiter Adriano Celentano "Azzurro". Mit Schornstein, Baracke, Krach, Wald und Wachturm glaubt man sich in einer Mischung aus KZ, Rummelplatz und Ferienlager gelandet. Das Publikum ist leichter Stimmung, und die Wege durch den Wald sind von Wohnzimmerstehlampen im klassisch spießigen, "altdeutschen" Stil markiert. Im Zweifelsfall kann man sich immer fühlen wie daheim.
Wernher von Braun lötet und schweißt in einer Halle, aus der es mächtig dampft; an die Wand geschrieben ist die Presseerklärung, die Nixon für den Fall vorbereitet hatte, daß die erste Mondfahrt schiefginge. Ein rothaariger Hitler führt zwei junge Frauen und spielt Mundharmonika; ein geistig behinderter Mann mit Megaphon erläutert, was wir sehen. Die isländische Präsidentin ist eine Zwergin, die auf einem roten Kinderauto eine Rampe herunterrollt und viel Spaß beim Besuch des Animatographen wünscht. Und so weiter. Ziemlich am Ende des Parcours, der durch mehrere Hallen voller Drehbühnen und Monitore führt, die disparat beschallt werden, wobei stets die Parsifal-Glocken herauszuhören sind, hängt im Wald das Büßergewand, das Schlingensiefs Bayreuther Parsifal trug.
Man muß wirklich sehr hartgesotten sein, um von Wagner nicht bewegt zu werden. Und es hat eine gewisse Logik, daß Schlingensief mit der Oper vom reinen Toren einen Stoff gefunden hat, von dem er nicht so bald wieder lassen will. Ragnarök, ök, ök. Langweilig ist das jedenfalls nicht.
Materialübersicht zum Animatograph Odins Parsipark
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Parsipark Dossier
- Programmheft zum Parsipark (PDF)
- Interview von Gerhard Ahrens
- Anleitung zum Selbstritual
- Pressemitteilung
- Vorabbericht
- Muezzin: Die Feigenbäume (PDF)
- Pressemitteilung der NASA (PDF)
- Parsipark Plakat (PDF)
- Animatographie als demokratische Projektion (PDF)
- Pressemappe: hochaufgelöstes Bildmaterial (ZIP)
Bilderstrecken
- Die Premiere
- Dreharbeiten zu Odins Parsipark
- Planskizzen
Pressestimmen
- Salzburger Nachr.
- Frankfurter R. (PDF)
- FAZ (PDF)
- Berliner Ztg. (PDF)
- Tageszeitung (PDF)
- Die Welt (PDF)
- Der Standard (DOC)
- Süddeutsche (PDF)
- Tagesspiegel (PDF)
- Sächsische Ztg. (PDF)
- Berliner Mopo (PDF)
- Märkische Allg. (PDF)
- Radiokritik DLF, WDR, RBB (MP3)
Verwandte Projekte
- Animatograph Island Edition
- Animatograph Afrika Edition
Externe Links
- Stiftung Schloss Neuhardenberg
- tba-21 Homepage
DER ANIMATOGRAPH – ODINS PARSIPARK
Kampf der Götter – Die Reise zum Mittelpunkt der Erde
Deutschland-Edition – »Midgard -> Ragnarök / Götterdämmerung«
Erste ur-animatographische Installation mit sechs Aktionen
Stiftung Schloss Neuhardenberg
19., 20., 21., 26., 27., 28. August 2005
Regie: Christoph Schlingensief
Bühne: Tobias Buser; Aufbau, Technik: Udo Havekost, Harry Johansson;
Kostüme, Fotos: Aino Laberenz;
Requisite: Markus M. Thormann;
Video: Meika Dresenkamp, Kathrin Krottenthaler;
Dramaturgie: Jörg van der Horst;
Regieassistenz: Hedwig Pottag;
Kostümassistenz: Lisa Kentner;
Internet: Jens Gerstenecker;
Künstlerische Beratung: Henning Nass;
Produktionsleitung: Celina Nicolay
Darsteller: Björn Thors, Sachiko Hara, Klaus Beyer, Karin Witt, Horst Gelloneck, Maria Baton, Helga von Paczenski, Achim von Paczenski, Andrea Erdin, Jürgen Drenhaus
Und erstmals, als Wernher von Braun: Markus M. Thormann
Technik: Matthias Warias;
Ton: Jens Voigtländer;
Video-Technik: Jens Crull;
Beleuchter: Hans Wiedemann;
Licht: Voxi Baerenklau
Produktion: Kristjan Schmitt; Produzent: Martin Siebert;
Technische Leitung:Thomas Schröder;
Hospitant: Johannes Maxim Zarnikow;
Produktionsfahrerin: Julia Egloff;
Betreuer Horst: Rainer Lembke, Björn Drese
Eine Produktion der Stiftung Schloß Neuhardenberg und von Christoph Schlingensief in Zusammenarbeit mit Thyssen-Bornemisza Art Contemporary, Vienna |
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