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Deutscher Pavillon 2011: Christoph Schlingensief
Venedig: Requiem für Schlingensief (RP)
Den Auftrag, den nationalen Pavillon auf der 54. Kunstbiennale von Venedig zu gestalten, konnte der Künstler nicht mehr selber fertigstellen. Aus seinem vielschichtigen multimedialen Material haben andere eine gewaltige kirchenartige Rauminstallation errichtet.
Venedig Das wäre doch was gewesen: der deutsche Pavillon auf der Biennale als Wellnesscenter. Nach seinen Erfahrungen in Burkina Faso, wo Christoph Schlingensief zuletzt an einem Projekt für ein Operndorf gearbeitet hatte, wollte er sich hier mit Themen wie Eurozentrismus und Rassismus auseinandersetzen. Und mit der Frage, warum wir meinten, besonders afrikanischen Völkern helfen zu müssen, solange wir mit uns selber nicht im Klaren seien. In diesem "Deutschen Zentrum für Wellness und Vorsorge" sollten funktionstüchtige Bade- und Kuranlagen eingebaut und in eine afrikanische Landschaft integriert werden.
Schlingensief plante, von Kindern aus Burkina Faso gedrehte Videos zu zeigen. Und die Besucher hätten sich mit digitaler Technik in einem "optischen Bad" als Schwarzhäutige erleben können. Vor dem Pavillon wollte der Künstler Käfige aufstellen, in denen Afrikaner als Künstler, Schauspieler, Computerfachleute und als andere "Kuriositäten" zu bestaunen gewesen wären. Und auf dem Gipfel des von Hitler 1938 eingeweihten Gebäudes sollte eine riesige "Negermaske" mit sich bewegender, übergroßer Unterlippe auf die Besucher unter ihr lächeln. Das waren nur einige Ideen eines Projektes mit überbordenden Phantasien, wie sie seit jeher Christoph Schlingensiefs künstlerische Arbeiten als Filmemacher, Theaterregisseur und Aktionskünstler ausgezeichnet haben.
Leider konnten sie nicht umgesetzt werden. Christoph Schlingensief, der 1960 in Oberhausen auf die Welt gekommen war, starb im Sommer vergangenen Jahres mitten bei den Vorbereitungen zum deutschen Biennale-Beitrag. In den letzten Jahren seines Lebens hatte er sich, durch eine schwere Lungenkrebserkrankung gezeichnet, mit der Freude am Leben und der Bedrohung durch den Tod auseinandergesetzt. Diesen so persönlichen Ansatz nutzte Susanne Gaensheimer vom Frankfurter Museum für Moderne Kunst (MMK), die als Kuratorin Schlingensief mit dem Auftritt im deutschen Pavillon beauftragt hatte, um nach seinem Tod ein neues Konzept zu entwickeln. Denn was als eine Ausstellung von ihm geplant war, ist jetzt eine Ausstellung über ihn geworden. Drei Themen setzt die Kuratorin: der Umgang Schlingensiefs mit der Biographie und der Krankheit, seine Arbeit als Filmemacher und das Projekt des Operndorfes in Burkina Faso. Wobei das erste Thema alles andere überstrahlt und die anderen Themen in zwei Seitenräume des deutschen Pavillons abdrängt. "Germania", der Schriftzug an der Fassade, liest sich jetzt als "Egomania" (nach seinem Film von 1986).
Der Besucher betritt den Pavillon durch einen schweren roten Vorhang, hinter dem sich ein Kirchenraum öffnet. Er ist das Bühnenbild des Theaterstückes "Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir", dem zweiten Teil von Schlingensiefs Ruhr-Trilogie aus dem Jahr 2008. Die Szenographie ist einer Oberhausener Kirche nachgebildet, in der der Künstler als jugendlicher Ministrant gedient hatte. Jetzt ist sie vollgestopft mit Objekten, Bildschirmen, Leinwänden. Röntgenaufnahmen hängen an der Wand. In einer Ecke stehen zwei Kindersärge. In einer anderen findet man einen Beichtstuhl wie aus einem Bordell. Und auf dem Altar sitzt ein ausgestopfter Hase. Über die Leinwände laufen Ausschnitte aus Filmen, in denen sich der Künstler zum Beispiel in der Kreuzigung Christi spiegelt, während aus dem Lautsprecher Musik-Ausschnitte aus seiner Bayreuther "Parsifal"-Inszenierung klingen. Die Themen Tod und Leben überkreuzen sich, wie Kitsch und Kunst, wie Trash, Trubel und Geistesblitze.
Diese bedrückende Rauminstallation ist einer einerseits stimmig, wenn man sie als Trauerarbeit nimmt. Auf der anderen Seite fragt man sich, was Schlingensief selbst dazu gesagt hätte. Ob er nicht schreiend vor sich selbst weggelaufen wäre. Ohne die kritisch-ironische Distanz, die ihn ausgezeichnet hat und die hier nur in wenigen Momenten aufblitzt, wirkt die Installation raunend schwer und nach Bedeutung eifernd.
Man ist versucht zu sagen: typisch deutsch. Aber darf man sich im deutschen Pavillon eigentlich nicht deutsch geben? Kann man in Venedig auf der Biennale nicht einfach nur über einen Künstler trauern?
Autor: Johannes Baum, RP Online vom 4.6.2011
Materialübersicht zur Biennale di Venezia 2011
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