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Hurra, Jesus! Ein Hochkampf
Jesus Chrisis. Mal abgesehen von einigen gesundheitlichen Störungen, gab es eigentlich nur einen Moment, an dem ich während der Produktionszeit von HURRA, JESUS! als katholikenabhängiger Mensch die Frage nach dem Sündenfall gestellt habe! Das Flugzeug hatte den Grazer Flughafen bereits seit gut 15 Minuten verlassen, als wir in ca. 5000 Meter Höhe in solche Turbulenzen gerieten, daß die Stewardeß unter dem über ihr quergeschlagenen und zwischen einer älteren Dame und meiner Sitzlehne völlig verkeilten Getränkewagen zu ersticken drohte.
"Hallo, Gott, hier spricht Christoph! Roger, roger, over, over!" zischte es von meinen Lippen. "Was ist los? Warum hast Du mich verlassen?"
Seit gut 34 Jahren hantiere ich mal kraftvoll, mal der Lähmung nahe, vor mich hin, während andere bereits mit 24 Jahren ganze Softwarekonzerne besitzen.
Mein Leben ist das eines Kleinbürgers, und das katholische Feuer brennt. Die Frage nach dem Sinn des Lebens habe ich schon lange verloren, aber gerade deshalb bin ich ja auch Katholik! Während sich Atheisten immer und immer wieder mit irgendeinem Blödsinn wie Gesetzmäßigkeiten zur Errechnung gerechterer Lebensformen abgeben müssen, wurde mir die Arbeit ja erspart. Gott ist der Sinn und damit basta!
Der Blick aus dem Fenster machte unmißverständlich klar, daß wir uns in einer sogenannten katholischen Twilight-Zone befanden, also der direkten Kontaktstelle zwischen Diesseits und Jenseits: sechs verschiedenfarbige Wolkenschichten. die in einem zum Tunnel geformten Endzeit-Walhalla in Dunkelrot nach meiner Seele an Bord der Boeing riefen.
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Szenenfoto aus Hurra Jesus! Ein Hochkampf (Foto: David Baltzer) |
Pfurztrockene Wolken, deren einziges Ziel es war, sich mit meinem Blut zu tränken und dann als sogenannter Endzeit-Schnee auf die Erde zu fallen. Schweißnaß und mit nach innen verkeilten Beinen blickte ich dem Tod, dem Richter aller Dinge, ins Gehirn.
Wenn Gott ein Richter war, dann konnte er jetzt richten!
Abrechnen für alle Vergehen, die ich in Graz begangen hatte.
Ich hatte den Tod aller Bischöfe gefordert und ins-besondere den Tod des Papstes!
kein allzu leichter Akt, wenn man bedenkt, daß der Bankrotteur der katholischen Kirche schon einmal entwischen konnte!
Oh wie haßte ich diese Bagage! Sie hatten mir Gott so gründlich versaut und seinen Sohn zu einer leid-geplagten. arroganten Schwuchtel verkommen lassen! Sie hatten sich seit Jahrhunderten auf Sicherung ihrer gesellschuJilichen Stellung durch metaphysische Ansprüche versteift und sich dabei der Bourgeoisie verschrieben!
Ein Haufen bodenloser Hunde, die ich am liebsten und im Sinne Jesu Christi mit einem Mühlstein um den Hals in irgendeinem tiefen See versenken wollte! Drewermann war viel zu weich. Ein Volksbegehren war nur Augenwischerei!
Nein! Man mußte zum Sturm auf die Bastille blasen! Die Guilottine mußte her.
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Szenenfoto aus Hurra Jesus! Ein Hochkampf (Foto: David Baltzer) |
Der Papst gevierteilt und verbrannt! Das war der Weg zu Gott!
Schon wieder eine Böe, dachte ich und hing an meinem Leben!
"Gnade für mich, den Strick für Woytila", murmelte ich und krakelte ein Kreuz auf meinen Spiegel. "Ja, zeig' mir, was Du davon hältst! Zeig' mir, ob ich richtig liege!"
Die Maschine begann zu trudeln.
2000 Meter in so kurzer Zeit!
Was, wenn Gott schon lange nicht mehr da wäre! Davongeflogen zu einem anderen Planeten?
Seit 20 Jahren denke ich bereits an Darmkrebs, an einen plötzlichen Schlaganfall auf der Ruhrtalbrücke bei Tempo 9o. an einen Herzinfarkt beim sonntäglichen Kirchgang oder den Ausbruch einer bis dato noch unbekannten Krankheit, die durch Bier oder Obstler übertragen wird. "Oh Herr. warum lebe ich so gerne und habe doch die Angst, bestraft zu werden? ... Bist Du mein Freund? ... Hast Du überhaupt eine Ahnung, was in mir vorgeht, wenn immer alle wissen, was richtig ist oder zumindest so tun?"
Schon wieder 1000 Meter! Es stand auf Messers Schneide!
"Der Papst oder ich!" brüllte ich in die Kabine. "Na los, wer ist Dir wichtiger?"
Wie von Sinnen versuchte ich, zum Notausgang zu kommen. Soweit ich gehört hatte, gibt es unter den Spermien eine große Menge von Kriegern, denen ihr eigenes Alter so sehr egal ist, daß sie sich ohne viel Aufhebens dazu bereit erklären, den Weg für DIE Spermien freizuKÄMPFEN! deren Ziel die Eizelle und dwr vit die Ewigkeit ist!
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Szenenfoto aus Hurra Jesus! Ein Hochkampf (Foto: David Baltzer) |
Gäbe es also diese Krieger nicht, so gäbe es auch keine Ewigkeit!
Ohne Sperma keine Schokolade!
"Wie gut muß man sich fühlen, wenn man weiß, daß man nur im KAMPF EXISTIERT und NICHT IM VOLLENDEN!" brüllte ich die Stewardeß an, die mich am Öffnen des Notausstiegs zu hindern suchte!
"Wie frei muß man sein, wenn das Ei dem König der Spermien die Freundschaft erklärt und man Schwanz an Schwanz zusammen mit seinen Kameraden der Grund dafür war!" brüllte ich den Copiloten an, der mich zu Boden warf!
"Oh Herr, ich bin Dein Krieger! Ich schlage mich `rum, damit Du Dich findest! Gib mir eine Chance!!! ICH ODER PAPST!!!!!"
Zu guter Letzt noch bemerkt, daß die Maschine ohne Probleme in Frankfurt gelandet ist und mein Stück ein voller Erfolg wurde!
Der Papst starb schon wenige Monate nach der Premiere.
Soweit ich gehört habe, hat sich der Vatikan mittlerweile aufgelöst.
Trotzdem muß ich eines betonen: Die Angst und der Haß sind geblieben!
Mit unverbindlichen Grüßen
Ihr Christoph Schlingensief
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Szenenfoto aus Hurra Jesus! Ein Hochkampf (Foto: David Baltzer) |
Zusätzliches Material zu Hurra, Jesus! Ein Hochkampf
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Hurra, Jesus! Ein Hochkampf
Auftragswerk des steirischen herbstes in Koproduktion mit den Vereinigten Bühnen Graz
Regie: Christoph Schlingensief
Bühne: Petra Korink; Kostüme: Tabea Braun; Dramaturgie: Regina Guhl
Mit: Irmgard Freifrau Baronin von Berswordt-Wallrabe, Mario Garzaner, Steffen Höld, Anna Maria Gruber, Paul Kaiser Leila Keplinger, Miklos Königer, Jonny Pfeifer, Daschau Poisel, Ute Radkohl, Christoph Schlingensief, Franziska Sörensen, Franz Solar, Joachim Tomaschewsky
Premiere: 30.9.1995
Zusatzmaterial
- Bilderstrecke
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