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Der Animatograph - eine "Lebensmaschine" von Christoph Schlingensief
Von Jörg van der Horst
1. Einleitung
Bilder sind immer nur Abbild. Sie sind das verspiegelte Fenster einer Darstellung, die zwangsläufig schon an Authentizität eingebüßt hat, Bildern mangelt es buchstäblich an Durchblick. Es ist "alten" und neuen Medien bis heute nicht gelungen, dieses Fenster zu öffnen, den darstellenden und abgebildeten Menschen nicht nur zu projizieren, sondern ihn selbst zum Projektor zu machen.
Die Schaffung vielschichtiger räumlicher Projektionen erhofften sich in den 1920er Jahren Künstler wie László Moholy-Nagy mit seinem Licht-Raum-Modulator (Light-Space-Modulator) oder Ray Eames, die amerikanische Architektin, die sich bis Ende der 1980er Jahre mit räumlicher Komplexität und materieller Überlagerung beschäftigte. Über Meyerhold, Eisenstein und Piscator hielten Projektionen Einzug ins Theater, hoben seine prägenden Grenzen von Zeit und Raum auf und trugen zur Vervielfältigung von Spiel- und Realitätsebenen bei.
Im Verlauf seiner Inszenierungen "Atta Atta" und "Bambiland" (beide 2003) kam Christoph Schlingensief die Idee zu einem mehrteiligen, groß angelegten Projekt, das anläßlich der Arbeiten am Bühnenbild zum "Parsifal" (Bayreuther Festspiele, 2004) genauere Gestalt annahm. Während der aktuellen Inszenierung "Kunst und Gemüse" (Volksbühne Berlin, 2004) erarbeitete Schlingensief den konkreten Plan, die von ihm genutzten Disziplinen Theater, Oper, Film und Aktionismus ineinander zu integrieren und zu verschmelzen, von der reinen Kunst, den Schauspielen, zu befreien und in einer Art "Lebensmaschine" den alltäglichen Inszenierungen und Ritualen der Menschen außerhalb des Kunstraums zu überlassen. Der Animatograph ist zunächst eine mobile Drehbühneninstallation, mit den herkömmlichen Bauteilen und Requisiten, die dem Besucher nicht mehr nur frontale Ansicht, sondern Einlaß bietet. Hier kann er sich des Bühnenbilds bedienen, kann die Installation bespielen und sich im wahrsten Wortsinn selbst inszenieren; ebenso kann er die Installation nutzen, indem er sie auf seinen Alltag, seine Kultur anwendet.
Im übertragenen Sinne handelt es sich bei der Drehbühneninstallation um eine "aktionistische Fotoplatte", die die auf ihr vollzogenen Aktionen weltweit und kulturübergreifend bannt und die aktionistisch, filmisch, fotografisch und akustisch gesammelten Dokumente immer von neuem, um die Bilder der vorangegangenen Stationen bereichert, projiziert.
Der Animatograph hat demnach den Anspruch,
1) diese "Lebensmaschine" zu präsentieren,
2) zu aktivieren und
3) sie den örtlichen Maschinisten - Uns - zu übergeben.
Für Wochenzeiträume soll Der Animatograph zuerst an verschiedenen, über die ganze Erde verteilten Orten auf Island, in Deutschland, in Mitteleuropa, in Afrika, Zentralasien sowie Nord- und Südamerika aufgestellt und "zum Gebrauch" angeboten werden, so u.a. auf einem nepalesischen Marktplatz, in einem namibischen Slum, einer "befreiten Zone" in Ostdeutschland, einer brasilianischen Favela und einem US-amerikanischen Vergnügungspark. Darüber hinaus sind Aktionswochen an zentralen Plätzen in Berlin, Buenos Aires, New York, Reykjavik, Windhuk und Tokio beabsichtigt. Jede Station bildet ein Kraftfeld für sich, das durch alltägliche Handlungen, aber auch religiöse Riten oder künstlerische Akte seiner Benutzer nach und nach aufgeladen wird. Vor Ort werden Bilder, Objekte, Töne und Musiken dokumentiert und fließen anhand von Projektionen und Einspielungen in die Installation an den darauffolgenden Stationen ein. So entsteht nach und nach eine Hyperprojektion. Belichtet wird das Bild einer universellen Kultur.
In einem zweiten Schritt wird Der Animatograph dann von der kulturbedingten Alltagsbühne zurück in den traditionellen Kunstraum überführt und wird in ausgesuchten Theatern (z.B. Nationaltheater Reykjavik), Opernhäusern, Museen (z.B. Kunsthalle Wien) und auf Festivals (z.B. Kunstfest Weimar) zur Vor- resp. Aufführung gebracht und wiederum seinen Besuchern zur Verfügung gestellt.
"Schon zur Zeit meiner Assistenz beim Experimentalfilmer Werner Nekes, ist es mein Traum gewesen, all die Medien, in denen ich mittlerweile gearbeitet habe, mit dem Betrachter zu einem Gesamtorganismus zu vereinen. Der Betrachter schaut nicht mehr nur zu, sondern tritt aus seiner Welt heraus und in die Geister- und Götterwelt des Animatographen ein, die er mit seinen Erfahrungen und Aufladungen belichtet."
Christoph Schlingensief
Das Projekt greift dabei u.a. Bemühungen des ersten englischen Filmproduzenten Robert William Paul (1869-1943) auf, mit einem neuartigen Kameraauge der "Spur der Ereignisse" zu folgen und Anteil zu haben an einem "modernen Modell kultureller Information", das durch die Entwicklung der Fotografie, der Bühnentechnik, der illustrierten Presse und des Spielfilms entstand.
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Materialübersicht zu Schlingensiefs Animatographen
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Der Animatograph
- 1. Übersicht
- 2. Einleitung
- A new theatre of the world (Art & Co 2/08)
- 3. Theorie
- ANIMATOGRAPH IV
- ANIMATOGRAPH III
- ANIMATOGRAPH II
- ANIMATOGRAPH I
Bilderstrecken
- Animatograph-Galerie
- Island-Dreh-Galerie II
- Island-Dreh-Galerie I
Flugblätter
- Außerparl. Obsession
- Icelandic Party
- Icelandic Army
- Gene Database
Verwandte Projekte
- Der Animatograph Deutschland Edition
- Der Animatograph Afrika Edition
Externe Links
- T-B A21
- Hauser & Wirth
- Isländisches Nationaltheater Reykjavik
ANIMATOGRAPH ICELAND EDITION
"House of Obsession"
by Christoph Schlingensief
Klink & Bank, Reykjavik
13.-15.5.2005
Commissioned by Thyssen-Bornemisza Art Contemporary
Idee / Regie: Christoph Schlingensief
Darsteller: Karin Witt, Klaus Beyer, Christoph Schlingensief, Jörg van der Horst, Arnar Jonsson, Björn Thors, Eigill Heidar, Anton Palsson, Gudrun Gisladottir, Lilja Gudrun Porvaldsdottir, Nina Dögg Filipusdottir, Olafur Eigilsson, Solveig Arnarsdottir, Unnur Stefansdottir
Extra-Darsteller "Preisverleihung in Pingvellir": Gudmundur Oddur Magnusson, Daniel Björnsson, Snorri Asmundsson, Sirra Sigurdardottir, Erling Klingenberg, Sigridur Björg Sigurdardottir, Omar Stefansson, Nina Magnusdottir, Unnar Audarson
Bühnenkonstruktion: Thekla von Mülheim, Tobias Buser
Bühnenaufbau: Tobias Buser, Daniel Björsson, Pall Banine, Pall Einarsson
Ausstattung: Harry Johansson
Sound: David Por Jonsson, Helgi Svavar Helgason
Einrichtungsassistenz: Lars Skjalbriea, Finnur Ragnarsson, Petur Hauksson, Gudmundur Hauksson
Licht: Björn Gudmundsson
Kostüm: Aino Laberenz
Kamera u. Schnitt: Kathrin Krottenthaler
Schnittassistenz: Kristian Zalinsky
Dramaturgie u. Internetredaktion: Jörg van der Horst
Beratung vor Ort: Henning Naß
Webdesign: Patrick Hilss
Produktionsleitung Deutschland: Anna Schulz, Holger Schulz
Produktionsleitg. Island: Nina Magnusdottir
Fotos: Aino Laberenz, Christoph Schlingensief, Jörg van der Horst
Besonderer Dank an: Tinna Gunnlaugsson, Lydur Sigurdsson, Margret Sigurdardottir, Askell Gunnlaugsson, Bjarni Ingolfsson, Asgeir Fridgeirsson, Claudia Kaloff, Hedi Pottag, Nathalia Stachon, Arno Waschk und Phillip Kummel
Mit freundlicher Unterstützung durch:
Galerie Hauser & Wirth, Zürich, Isländisches Nationaltheater, Reykjavik, Isländische Landesbank.
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