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THEATER IHRES VERTRAUENS Theater heute, 1/03
"Wozu die sauere Arbeit der dramatischen Form?
Wozu ein Theater erbauet;
Männer und Weiber verkleidet,
Gedächtnis gemartert,
die ganze Stadt auf einen Platz geladen?"
Theater heute, das ist Politik. Politik, das ist lange schon Theater. Und sie schickt sich an, sogar das bessere von beiden zu werden. Gemessen an der Qualität ihrer Inszenierungen, haben Parlamente und Plenarsäle die Schau- und Volksbühnen der Republik Berlin auf die Sitzplätze verwiesen. Von Politik lernen, heißt Inszenieren lernen. Kaum sind die Zuversicht gaukelnden Kanzler- und Kandidatenmasken in der Requisite der Fernsehsender verstaut, ist die Fallschirmseide des sprung- und sprachgewaltigen Dieners von Guidos Gnaden im Parteifundus versteckt, da jagt schon wieder eine Uraufführung die nächste kreuz und quer über die Spielpläne von Phoenix und n-tv: DRAUßEN VOR DER TÜR, die Geschichte des (Wahl-)Kriegsheimkehrers Möllemann in einem verfahrenen Ausschlussverfahren; derselbe Hauptdarsteller als von Herzbeschwerden und Sodbrennen Geplagter in DER EINGEBILDETE KRANKE; FDP-Sonderparteitage als Adaption der Anouilh-Farce BALL DER DIEBE, in der die Westerwellen nochmals über Potemkinschen Lambsdörffern zusammenschlagen und beide sich im Schonwahlgang ihre Weißen Westen bleichen lassen. BUNTE und BILD drucken das Programmheft, über das sich ein ERNIEDRIGTER UND BELEIDIGTER Bundessteuermann ifflandringverdächtig echauffiert und zur öffentlichen Drohbrieflesung lädt. Entgegen all diesem postdramatischen Medienklamauk wirken ZDF-Bühnenkanal und seine schwer erträglich fest engagierte Theaterpädagogin Esther Schweins bereits vor Erklärung des V-Effekts um ein vielfaches älter als Sophokles und Johannes Heesters zusammen.
Noch vor Probenbeginn bahnen sich unterdes die üblichen Zwistigkeiten um die Besetzung der wenig erwarteten Neuaufnahme an: DIE ERMITTLUNG, ein erschütternd zeitgemäßer Klassiker um einen sog. Wahlbetrugsuntersuchungsausschuss. Deutliche Anleihen im Absurden sind erkennbar. Parallel dazu reklamieren deutsche Bühnenanalysten ihre ganz eigene Ankunft in der Moderne und nominieren Jürgen W. Möllemann angesichts seiner fundamentalen Interpretation des weisen NATHAN für den Nachwuchspreis 2OO2 in der Kategorie Volkstheater - gemeinsam mit Guidomobilmacher Westerwelle und Belustigungsphilosoph Harald Schmidt, den die Fachwelt neuerdings Lucky nennt. Selbst Paul Spiegel rüstet sich für den Fall der Fälle und lässt der Vorsicht halber eine Laudatio auf den polternden Populisten dichten, sollte wider Erwarten doch dieser den Ehrenbambi für Menschlichkeit erhalten - und nicht wie in den letzten Jahren immer Iris Berben. Politik ist Theater ist Politik und so ist auch hier einfach alles eine Frage der Inszenierung.
Die Massentauglichkeit der Inszenierung ist ungebrochen. Schon buhlen Freizeithistoriker in Internetauktionen um Nathan W. Möllemanns antisemitische Flyer. Sie sind allein bei dem Versuch, den Mantel der Geschichte möglichst lukrativ über die jüngsten Possen zu schmeißen. Das noch im Wahlkreuzzug geschlossen dem Größenwahn frönende FDP-Ensemble kann den sich nahtlos aneinander reihenden Ohnmachtsanfällen kaum noch adäquat hinterher fallen. Darum geht man einen in gewisser Weise automatisierten Gang - heraus aus der faktischen Katastrophe, hinein in die inszenierte Selbstkasteiung. Als die im Juni 2OO2 im Rahmen des Festivals Theater der Welt inszenierte AKTION18 in das von Möllemann gebaute, von Westerwelle und Konsorten zur Abwendung der eigenen Depression dankbar aufgenommene Bild einer "schon lange fälligen Antisemitismusdebatte" einbrach, da ging ein Aufschrei durch die Spaßpartei. Das Entsetzen war groß, so groß, dass man beinahe zu glauben wagte, Theater habe einen Funken politischer Wirkung zurück gewonnen. Die Fassungslosigkeit, die recht unrunde Kreise aus Politik und Kultur, arm an Ausdruck, zu eben diesem brachten, richtete sich jedoch nicht gegen den hinterlistigen Psychologen Möllemann; ebenso wenig empörte man sich - abgesehen von Ausnahmen wie Andreas Rosenfelder in der FAZ - über die ganz offenbar unsauberen Geschäfte der Möllemannschen Exportberatungsfirma WEB/TEC im noblen Dickicht Düsseldorfs, vor deren verschlossenen Türen die AKTION18 Station machte. Ganz im Gegenteil, wahrten allen ihr Gesicht, ihre angeschminkte Mimik. Die Landtagsfraktion von Projekt 18 und die so ortsansässige wie selbstredend unabhängige Boulevardpresse machte den vordergründigen Psychopathen Schlingensief als faschistoiden und gemeingefährlichen Amokläufer aus, der über den Status des Enfant terrible anscheinend nicht hinauskomme.
Möllemann lud zur Pressekonferenz und gebar sich unter Schmerzen als `in seinen Menschenrechten verletzt´ und `persönlich bedroht´. Die FDP im Rat der Stadt Köln, die sich nach dem Wahldebakel schneller als alle anderen Mitlaufgemeinschaften von ihrem bis dato ganz eigenen Landesfürsten distanzierte, versandte ein Fax an die Festivalsponsoren und stellte darin die Frage, ob man unmittelbare Angriffe auf ein Aushängeschild der liberalen Bewegung wirklich noch finanzieren wolle. Der mittels Immunität weiterhin gehuldigten Integrität Möllemanns war es zu verdanken, dass sich schon am Tag der PRESSEKONFERENZ drei Staatsanwälte auf die Suche nach der Unrechtmäßigkeit der theatralen Aktion im politischen Sperrgebiet machten. Das Theater hatte sich aus dem Theater gewagt und stand nackt auf der Straße. Jetzt kam die Sittenpolizei.
Andersherum gefragt: Wie wäre es um die nun zur Schau gestellte Aufklärungseuphorie der Radikalliberalen und die Totaldemontage Möllemanns bestellt, wäre man dank seiner Flüche und Fluchblätter auf die Stoibersche Kabinettsbank geschliddert? Welche Maske trügen die Piepers und Rexrodts dann? Von Westerwelle und den auf ewig abartigen Strippenziehern im Hintergrund ganz zu schweigen. Hätte dann nicht der Zweck die Inszenierung geheiligt? Und nochmals andersherum gefragt, bis es einem schwindelig wird: Haben Sie eine ähnliche Inszenierung schon einmal im Theater Ihres Vertrauens gesehen? Der dramatische Schein des Theaters verklärt bisweilen die Tatsache, dass das Leben selbst - das alltägliche wie das politische - eine Drama ist, sein kann. So neu kann diese Einsicht nicht sein, das Eingangszitat stammt doch auch schon von Lessing. Es handelt von gelungenen, zumeist misslungenen Aufführungen außerhalb des Theaterraums, an deren Anfänge sich keiner erinnert und deren Ende vollkommen unausgegoren ist. Wieso aber macht sich das Theater diesen Dilettantismus nicht endlich zu eigen und öffnet seine Geschlossene (Moral-)Anstalt den täglichen Widerwärtigkeiten, gegen die das Shakespearesche Morden und Mobben wie eine unmerklich verschärfte Harry-Potter-Ausgabe anmutet?
Jürgen W. Möllemann ist mittlerweile tot - politisch zumindest. Trotz millionenschweren Privatkonten unternimmt er nun noch den Versuch, seine standesgemäße Beisetzung zu finanzieren, indem er die dem Untergang versprochene FDP zur Zahlung seiner Flugblattspesen auffordert.
Es ist gewiss mehr als unangebracht, auch nur den Eindruck zu erwecken, man verspüre Mitgefühl mit dem parteiintern zum Uwe Barschel mutierenden Möllemann, dem so manch liberaler Weißwäscher wohl gern das Wasser in die Wanne ließe. Bis auf weitere Akteure bleibt Möllemann zweifellos die größte Rampensau im deutschen Polittheater. So viel Mediengeilheit und Selbstbefriedung in Personalunion sind auch in der Nach-BIG-BROTHER-Ära und der Post-POPSTARS-Periode ein starkes Stück. Wer sich im Sinne des mit Macht lockenden Ministeramts auf seine ganz eigene Weise an Haider und Schill vergeht, der darf sich nicht wundern, wenn er letztlich als das bloßgestellt wird, was er ist: ein Müllmann.
Auch die mieseste Inszenierung kommt aber nicht ohne weitere Hauptrollen und Nebendarsteller aus, die wenigstens mal vom Rampenlicht gestreift werden wollen. Schmidts bis zum Totlachen durchexerziertes FDP-Politbarometer wurde von aufstiegswilligen Popjournalisten noch als Reinkarnation des Dadaismus gefeiert, als ein anderer Umgang mit den Neoliberalen auch Spaßgesellschaftern gut zu Gesicht gestanden hätte. Von anderen, dabei nicht wenigen, wird Möllemann hingegen jetzt erst recht auf die Bühne geschubst - als Buhmann, der das gesamte Erich-Mende-Gedächtnisteam gegen seinen Willen an den Abgrund führte. Dort angekommen, gewährt man ihm jetzt den Vortritt. Die Säuberungsaktion der FDP mutet an wie eine Neuinszenierung des einstmals inszenierten Röhm-Putsches und wir, die Zuschauer, tun das, was wir immer tun - wir schauen zu. Heute arbeiten sich alle an Möllemann ab, als habe man ihn im Interesse der (Medien-) Demokratie zwar ausreden lassen, wohl wissend jedoch, wie Ekel erregend und abstrus seine Parolen waren und sind. Keine Maischberger und keine Christiansen, die nicht liebend gern ihre eigene Inszenierung um den selbsternannten Tabubrecher drumherum bauten; Möllemann wurde zum Goldenen Kalb hochgezüchtet und ausgiebig gemolken. Ob nun der Helmut-Kohl-Heimatsender RTL oder die linientreu für den Tagesspiegel kritzelnden Ich-AG´s - ihnen allen war die sog. Antisemitismusdebatte willkommen, die von Beginn an eine Diskussion um politische wie massenmediale Niveaulosigkeit hätte sein müssen. Worüber aber sonst berichten in Wahlkampfzeiten, in denen erst gar nicht gekämpft wird? Gegen wen denn in diesem Einheitsbrei? Financial Times Deutschland und der Rest der WELT schrieben sich eine von der Justizministerin beim Abendbrot geäußerte Unbedachtheit über den Neoterroristen Bush zum politischen Skandal ersten Ranges groß; die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG kaufte werbewirksam die Aldiregale leer und stürzte sich mit Schröder in die Ostfluten; ein ob des Umfrageumschwungs noch mehr als sonst schon irritierter
Herausforderer sprang hinterher, nachdem ihm seine PR-Berater die Schwimmflügel aufgeblasen hatten. Allein Westerwelle hatte von vornherein auf Sand gebaut - und spielte Beachvolleyball All dies wurde staatstragend kolportiert. Man kümmerte sich, um Kummer zu vermeiden. Vor dem Grünen Salon gab man sich die Klinke in die Hand. Johannes B. Kerner versuchte sich als Enthüllungsjournalist und entlockte Frau Stoiber bayrische Backrezepte, während Erich Böhme mit solcher Hingabe das Kassengestell schwang, dass wir uns schnell in Bequemlichkeit wiegen durften: ein Land, das für solche Plauderei noch Muße hat, dem kann nicht wirklich unwohl sein. Und wenn schon, für den Anflug von Kontroverse hatte man immer noch den Fallschirmspringer der Reserve in Reserve. Bevor man die Deutschlanddepression der ersten und hoffentlich letzten Tage von Doris ihrem Mann auch noch beim Namen nannte, labte man sich lieber an Möllemanns jüdischen Weltverschwörungstheorien. Man kann doch mal drüber reden - solang es noch nicht nach Gas riecht. Berichten wir jetzt und richten wir später. Die Aufsichtsräte des Staatsfernsehens, deren Mitglieder nicht zufällig auch Kabinettstische besetzen, beschließen sonst noch die völlige Trockenlegung des Informationsflusses. Für die ganze Wahrheit über Möllemann und Möllemänner bleibt Zeit für die tristen Tage nach der Wahl, in denen die ohnehin Brach liegende Streitkultur nichts anderes mehr hergibt als Postenschacher und Dolchstoßlegenden.
Was bis hierhin wie ein ausschließlicher Vorwurf an den Wirklichkeitsschein der Politik und die Realitäten der Medien klang, das ist jetzt bereits eine Klage gegen das Sein des aktuellen Theaters, seinen Rückzug auf die Bühne, in die Fiktion, die sich mit Anspielungen begnügt - wortwörtlich. Noch das billigste Meucheln wird effektvoll ausgeleuchtet und per Video nochmals groß auf die Rückwand projiziert. Das können Politik und Fernsehen nun wirklich besser ! Ist das nicht das tatsächlich Unfassbare am Theater? Der Rückzug in sich selbst und die Genügsamkeit des ästhetischen Kommentars bei einem Gläschen Premierensekt? Muss das Theater den Macht- und Rechthabern, den Opportunisten und Lügnern im Alltag nicht eigentlich auf halber Strecke in ihre Trutzburgen zuschreien: "Machen Sie den Weg frei, das Theater ist da ! Wenn Sie mit Ihrer Vorstellung nicht ins Theater kommen, dann kommt das Theater eben zu Ihnen !" Stattdessen gibt's das "Schauspielhaus-Starter-Kit": ein Reclam Schauspielführer, eine Anleitung zum professionellen Applaus, zwei Theatergutscheine - einfach alles, was man als gut funktionierendes Theater so braucht. Unsere Stücke dauern auch schon wieder sechs Stunden. Anstatt dass Theater endlich in die Städte einmarschiert und auf die Barrikaden geht, baut man sich die Städte lieber gleich selbst in den Zuschauerraum - man setzt sich halt auseinander.
Wann spielt Theater endlich nicht mehr vor? Wann spielt Theater endlich durch? Ob es noch Grenzen gibt zwischen Wahrheit und Spiel, und wo diese Grenzen gegebenenfalls liegen, ist nicht mehr sein Problem. Nicht anders springen die mit uns um, die Politainer heißen. Bedienen sich diese den Mitteln des Theaters, dann bedient sich das Theater den Mitteln der Politik. Es gibt keine Kompetenzen mehr. Es gibt nur mehr Divergenzen zwischen politischen Inhalten und denen, die solche Inhalte zur Plattitüde umtexten. Wer übernimmt da noch Verantwortung für das, was er sagt, wenn alles, aber auch wirklich alles reine Auslegungssache ist? Argumentation wird zur Fahndung ausgeschrieben, Denunziation feiert sein Comeback auf und abseits der Bühnen. Politainment wird dort auch zum Schlagwort des Theaters, das den Guckkasten nicht verlassen will, um wirklich zu gucken, was draußen passiert - Scheuklappentheater. Möllemann und seinesgleichen markieren viel, aber letztlich nicht mehr als einen Rollentypus, der beliebig zu besetzen ist. Gegen diese Rolle muss das Theater genauso unbeliebig anspielen. Theater ist Politik ist Theater.
CHRISTOPH SCHLINGENSIEF
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