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Schlingboulez im Labyrinth der Bilder
Frankfurter Rundschau, 27.7.04. Von Hans-Klaus Jungheinrich.
Subtiler, verschlossener als erwartet: Christoph Schlingensief und Pierre Boulez mit Richard Wagners "Parsifal" zur Eröffnung der Bayreuther Festspiele.
"Kinder, schafft Neues", sagte Richard Wagner, und sein Enkel Wolfgang beherzigte das in manchen Festspielsommern dergestalt, dass er der Öffentlichkeit auf dem Grünen Hügel einen neuen Bühnenscheinwerfer offerierte oder im Auditorium eine von alt (extrem unbequem) zu neu (sehr unbequem) ausgewechselte Bestuhlung. Doch 2004 kann sich Bayreuth wieder eines ernstlichen Erneuerungsschubs rühmen. In der intensiv erwarteten Eröffnungspremiere zeichnete er sich ab. Erstmals - also doch wieder innovative Haustechnik - kehrten Film und Video als tragende dramaturgische Elemente ein und prägten den Aufführungsstil des neu inszenierten Bühnenweihfestspiels Parsifal. Auch recht unbequem. Verwirrend für viele Zuschauer. Da kannten sie sich nicht mehr aus, die alten Wagnerianer. Natürlich war dies das Werk des Bayreuth-Debütanten Christoph Schlingensief, dessen Engagement als inszenatorischer Wagner-Exeget seit Wochen als Sensation gehandelt, in der Boulevardsphäre gar als Bayreuth sprengender Skandal getoppt wurde.
Probenstreitereien wurden erspäht und medial aufbereitet, auch das Wuseln von Anwälten im Hintergrund. Der Filmer und Aktionskünstler Schlingensief selbst, ein Meister der Performance, stellte seinen Stress und seine Schwierigkeiten lauthals ins Rampenlicht. Von Angst sprach er immer wieder in Interviews - und mochte damit vor allem die enorme Anspannung meinen, die der ungewohnte Umgang mit einem großen Apparat bedeutet. Profis reden von so etwas höchstens im kleinen Kreis.
Freilich war Schlingensief eigens als Nichtprofi für Bayreuth verpflichtet worden - mit seiner Nichtprofessionalität als Trumpf und Produktivkraft, von wegen des "frischen Zugriffs". Theater setzt sich aus institutioneller Versiertheit und verrücktem Tun zusammen. Für das eine steht in Bayreuth Wolfgang Wagner ein (der Schlingensief auch schon mal die Instrumente respektive die Hausordnung des Hausherrn zeigte), für das zweite waltet Schlingensief nun seines "heiligen Amtes".
Interessant, komplex und höchst sophisticated ist's nun also geworden im neuen Parsifal. Zum wütenden Publikums-Eklat kam es nicht. Mehr als die ehrenvoll-übliche Buh-Quote für mutige Optik wurde dem Inszenator nach der störungsfrei gelaufenen Aufführung nicht zuteil. Der vom 43jährigen Szeniker vorab beschworene (Premieren-)"Todestag" dürfte sich mithin nicht wörtlich-kannibalisch schlachtfestmäßig realisiert haben, sondern als künstlerischer Ernstfall übersetzen lassen - eine schlichte Normalität bühnengewohnter Berufsausübung. Reizvoll und geradezu poetisch koinzidierte indes der von Theaterbetrieb und Wagnerkenntnis bisher unbeleckte "reine Tor" Schlingensief mit der Titelgestalt der Oper Parsifal und ihrem aufs Mitleidsmotiv gegründeten Irrgang durch Zeiten und Welten.
Schlingensiefs Arbeit manifestierte sich jedoch sicher und geradezu perfektionistisch, wenn auch im Ergebnis schwer durchschaubar und labyrinthisch. Fast nichts offenbarte sie von aufklärerisch-entmythologisierendem Impetus. Absichtsvoll haftete und driftete sie im Diffusen, Strudelhaften, Beschwipsten von Halb-, Kunst- und Alternativ-Religiosität und bildete damit einen extremen Gegenpol etwa zu Ruth Berghaus' hell ausgeleuchteter, streng rationalistischer Parsifal-Sicht. Richard Wagner riskierte nicht, den Parsifal-Stoff aus der christlichen Ikonographie herauszulösen und ins Synkretistisch-Weltreligiöse zu transformieren. Wenn Schlingensief nun auf christliche Embleme und Symbole verzichtet, scheint er Wagner (der im Alter ja auch ein bisschen Buddhist war) zu Ende zu denken.
Verschwimmen und verschwinden
Kein Zweifel, die filmischen Projektionen sind das szenische Hauptmerkmal der Aufführung. Manchmal könnte man meinen, die Bühnenbilder von Daniel Angermayr und Thomas George seien bedeutungslos, weil sie auf weite Strecken im Unerkennbaren verschwimmen und verschwinden. Dann wieder treten sie, in jäh und grell aufschießender Beleuchtung, überdeutlich für Augenblicke hervor: Architekturteile und eine Art Wachtturm, darunter Höhlungen im ersten Akt, getreppt Gestellhaftes im zweiten, geborsten Ragendes im dritten. Nichts davon scheint von sich heraus sich zu vergegenständlichen. Alles bekommt seine fluide Qualität durch die Bearbeitung mit den Projektionen. Film in Mehrfachbelichtung, projiziert auf Leinwände, aber auch direkt auf Kulissenteile.
Dadurch entsteht der Eindruck des Labyrinthischen, einer immensen Vielschichtigkeit. Das andere Medium erweitert den Begriff des Gesamtkunstwerks. Schlingensief ergeht sich denn auch nicht in wüstem Multimedia-Geflacker und -Geflunker. Seine Einblendungen sind mit höchstem Bedacht realisiert. Sie dienen entweder einer belebenden Irritation des Bühnengeschehens und stellen zu ihm eine intrikate Balance her.
Seltener, aber manchmal drastisch, exponieren sie eigene Bildwelten (so dass die Vorlagen, Schlingfensief-Filme aus Asien und Afrika etwa, stärker hervortreten). So etwa bei der Verwandlungsmusik ("Ich schreite kaum, doch wähn' ich mich schon weit")im Kopfakt, deren Potenzial sofort durch eine fremdartig-bestürzende Bilderflut ausgeschöpft wird, nochmals im letzten Finale mit den Großaufnahmen zweier Hasen, schwarzweiß, in getötetem Zustand und in mehreren Stadien der Verwesung. (Danach, für die Schlussimpression, ein verbleibendes Lichtbündel, eventuell Konzession an wen auch immer). Ein lebendiger Hase zuvor im Kopfakt, leuchtende Kraftfelder aussendend, als Gralssymbol - in memoriam Joseph Beuys.
Auch vor Ekelgrenzen weicht Schlingensief nicht zurück, wenn er, die Amfortas-Wunde illustrierend, etwas Geschwürartig-Amöbenhaftes, schleimend Tropfendes in Großaufnahme präsentiert. Oder, beim Karfreitagszauber (den Ruth Berghaus als unnachahmlich ergreifend "menschengemacht" deutete), wenn er nicht nur verlegen buntes Farbspiel bietet, sondern einen bedrohlich in eine Laichmenge sich einwühlenden Fisch. Nein, ein Behagen stiftender Idylliker ist Schlingensief mitnichten. Seine ausgeklügelten Bildwirkungen gemahnen immer wieder auch an den expressionistischen Film. Die Akteure operieren oft als genau platzierte Farbflecken, als streng isolierte Segmente vor einem dunklen oder fotographisch gemusterten Hintergrund. Schlingensiefs "Musikalität" (ebenso ersichtlich wie seine Ehrfurcht vor Richard Wagner und insbesondere seinem Erlösungsgedanken) erbringt oft die prompte bildliche Übersetzung musikalischer Akzente, als handle es sich um Filmmusik - als pragmatische Strategie war das vielleicht sogar nützlich, weil es Orientierungsschneisen schlug in einem sonst weithin rätselhaften Dickicht von Bildbeladenheiten. Ein Paradox: Schlingensiefs Poetik war am faszinierendsten wohl für Betrachter, die den Parsifal schon gut kennen. Sie verschloss aufs artifiziellste anstatt aufzuschließen.
Die Bühnendarsteller selbst wurden von den filmischen Bedeutungsträgern etwas in den Hintergrund gedrückt, so dass sie mehr mit den Stimmen denn als Figuren Personalität gewannen. (Im Kontext fielen auch die eher altväterlichen, manchmal orientalisierend-phantastischen Kostüme Tabea Brauns wenig auf; allerdings kokettierte Schlingensief auch sonst gerne mit Anspielungen auf das malerische und märchenhafte 19. Jahrhundert). Robert Holl war ein kraftvoll intonierender, vorzüglich sprachverständlicher Gurnemanz, Alexander Marco-Buhrmester ein unchargierend kultiviert schmerzbewegter Amfortas, Kwangchul Youn ein abgründig aus dem Off tönender Titurel, John Wegner ein charaktervoll timbrierter Klingsor.
Aufklärerische Note
Von gewaltiger expressiver Wucht war der Kundry-Gesang von Michelle de Young. Kundry, eine besondere Identifikationsfigur auch für Schlingensief (ein Nacktauftritt der Sängerin à la Venus von Willendorf war ebenso unspektakulär-dezent arrangiert wie die engelhaften Bühnenquerungen einer Gruppe von Behinderten).Etwas weniger animiert und animierend der (durchaus über einige metallische Substanz verfügende) Parsifal-Tenor von Endrik Wottrich, im Vortrag überwiegend starr und flach, nach kurzem Aufschwung im 2. Akt schnell wieder in Asthenie verfallend. Gewohnt präsentable Blumenmädchen- und Chorleistungen.
Der alte große Maestro Pierre Boulez wird damit leben können, dass er und seine Partiturausbreitung an diesem Abend nicht ganz soviel glühende Neugier erregten wie das Treiben des Bayreuth-Neulings Schlingensief, zu dem er im Vorfeld ebenso Loyalität bewies wie die Regieassistentin und Wolfgang-Wagner-Tochter Katharina. Boulez hatte 1966 bereits auf Initiative Wieland Wagners Parsifal in Bayreuth dirigiert (danach den Jubiläums-Ring von Chéreau 1976), und so lag es nah, das aktuelle Dirigat mit dem damaligen zu vergleichen. Von den Tempi und Aktlängen her gesehen, hatte sich kaum etwas verändert: flüssig und belebt ging es dahin, und die Orchestermusiker konnten eine glatte Dreiviertelstunde früher nachhause gehen als bei Levines Parsifal. Doch wenn die Erinnerung nicht täuscht, gab es in der Binnendiktion doch auch Unterschiede. Der junge Boulez bevorzugte eine helle, filigrane, womöglich etwas fischige Transparenz. Der gereifte, durch Mahler und Bruckner idiomatisch geklärte Boulez achtet nun weniger auf dekorativ ansprechende Klangfarbflächen als auf sprachähnliche Deutlichkeiten und Dringlichkeiten, gibt auch entschiedenen dramatischen Ausdrucksgehalten Raum, alles freilich in abgemessener und von teutonischen Übermaßen freier Weise, geschmackvoll auch den Sakralgestus im Zaum halten, ihn sozusagen säkularisierend. So hatte, im Kontrast zu Schlingensiefs obsessiven Bild-Exzessen, dieser Parsifal doch auch noch eine aufklärerische Note (ganz abgesehen von der nach fast 40 Jahren erheblicheren Wagner-Aufgeklärtheit und Hochbrillanz des Orchesters). Alles in allem ein Markstein der Bayreuther Festspielgeschichte.
Pressestimmen und Kritiken zur Parsifal Inszenierung 2004
Materialübersicht zu Schlingensiefs Parsifal Inszenierung
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