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Erlösungsutopie aus Kulturpessimismus
Von Jörg Riedlbauer. Landshuter Zeitung>
Christoph Schlingensiefs Bayreuther "Parsfial"-Inszenierung fasziniert auch im 2. Jahr
Seinem Grundkonzept ist er treu geblieben, der Regisseur der Bayreuther "Parsifal"-Inszenierung Christoph Schlingensief, doch er hat es überarbeitet, verfeinert, auch intensiviert. Insbesondere aber ist die visuelle Umsetzung von Wagners Bühnenweihfestspiel ruhiger geworden; in seiner nach wie vor überbordenden Bildphantasie hat sich Schlingensief selber begrenzt, Effekte verringert, Aktionen zurückgefahren, und er gewann dadurch mehr Raum für die sängerischen Gestaltungen, zugleich auch höhere optische Nachhaltigkeit.
An der Aussage tat dies keinen Abbruch. Schlingensief nimmt Wagner, den "Parsifal", Ernst - wesentlich ernster als es beispielsweise Konwitschny in München tat, und inszeniert ihn im Kontext von Wagners späten theoretischen Schriften (vor allen "Die Folterkammern der Wis-senschaft"," Religion und Kunst", "Was nützt diese Erkenntnis?") mit ihrem kulturpessimis-tischen Weltschmerz über die geschundene Kreatur, ihrem utopischen Wunsch nach kollekti-ver Erlösung von der gesellschaftlichen Realität mittels der Überwindung des materialisti-schen Kapitalismus' durch gewaltfreie Spiritualität. Dabei macht Schlingensief Wagners exis-tenzialistische Überlegung deutlich, dass die Voraussetzung zu dieser Erlösung das eigene Sterben und der nachfolgende Verwesungsprozess ist.
So ziehen sich Metaphern des Todes, des Verfalls, der Umwelt- und Naturzerstörung durch das mit Viedeoeinspielungen und raffinierten Beleuchtungseffekten erweiterte Bühnenbild (neben Schlingensief war noch mit Daniel Angermayr, Thomas Goerge, Voxi Bärenklau, Karlheinz Matitschka, Ulrich Niepel, Meika Dresenkamp und Tabea Braun ein 7-köpfiges Produktionsteam an der szenischen Umsetzung beteiligt). Warum indes gegenüber dem Vor-jahr teilweise auch die Zahl der Handlungsträger erweitert wurde, mitunter also die Figuren der Kundry und des Parsifal multipliziert wurden, vermochte sich nicht so recht zu erschlie-ßen. Nichtsdestoweniger hat gerade die Verführungsszene im 2. Aufzug an Spannung und Tiefe hinzugewonnen.
Wie schon 2004, war auch jetzt Schlingensiefs Deutung der Abendmahlsszene als ein Ritual der Weltreligionen von besonderer Qualität. Pausengesprächen war zu entnehmen, dass sich manche Besucher daran stoßen, dass der Regisseur das Gralsgebiet mit Afrika-Assoziationen in Verbindung brachte und die Gralsburg mit zahlreichen enigmatischen Symbolen naturreli-giöser Provenienz - der indianischen Mutter Erde beispielsweise - ausstattete. Diesen sei ge-sagt, dass schon Wagner selber in seiner eigenen Inszenierung von 1882 hierfür keinen ein-deutig christlichen Sakralraum schuf und ebenfalls mit emblematischer Enigmatik, Bogen- und Sternelementen gearbeitet hat.
Erinnert sei auch nochmals an einen weiteren Bestandteil aus Wagners persönlicher Regie der Uraufführung. Für die Schlusstakte fordert er gemäß eigener, in der Partitur niedergelegter Anweisung "Zunehmende Dämmerung in der Tiefe, bei wachsendem Lichtscheine aus der Höhe". Schlingensief nun lässt Parsifal, den "erlösten Erlöser", bei zunehmend sich von unten verdunkelndem Bühnenraum in einen heller und heller werdenden Lichtkegel im oberen rech-ten Bühnenhintergrund schreiten - ein ergreifendes Bild für Wagners Utopie.
Auch musikalisch hat die Produktion hinzu gewonnen. Pierre Boulez' klar strukturierte Sicht auf die Partitur hat ihre analytische Kühle zugunsten milderer Wärmegrade hinter sich gelas-sen, gönnt sich mittlerweile auch einmal ein dezentes Rubato. Dadurch kompromittierte der Dirigent keineswegs die Offenlegung von Wagners frühimpressionistischer Modernität. Sei-tens der Tempi hielt Boulez an seinen angemessen zügigen Vorstellungen fest, wirkte aber - in Korrespondenz mit der szenischen Überarbeitung - ebenfalls eine Spur ruhiger als 2004. Das Orchester musizierte prachtvoll, und Eberhard Friedrichs Chöre sangen wieder einmal hinreißend.
Nicht minder hohes Lob gilt den Solostimmen einschließlich der ganz kleinen Partien wie dem Altsolo von Simone Schröder im ersten Finale oder den beiden Gralsrittern (Clemens Bieber und Samuel Youn). Die Titelrolle wurde heuer von Alfons Eberz übernommen, was ihr nur allzu gut bekommen ist: Mit herrlich tenoralem Glanz und Stehvermögen machte Eberz die Entwicklung vom tumben Tor bis zur Schlussapotheose als "Erlösungsheld" (so Wagner) deutlich; im Rückblick auf den jetzt zu Ende gegangenen Festspielzyklus wird Bayreuth 2005 als ein Jahr der kontinuierlichen Glücksfälle in den Tenor-Protagonistenpartien in Erinnerung bleiben (neben Eberz' Parsifal sind dies Ernsts Steuermann, Goulds Tannhäuser, Seifferts Lohengrin und Smith' Tristan). Kwangchul Youn gab nobel den Grals-Senioren Titurel, Alexander Marco-Buhrmeister überzeugte als dessen todessehnsüchtiger Bühnensohn Amfortas, Robert Holl erreichte als Gurnemanz das Format solch legendärer Rollenvorgänger wie Kurt Moll oder Hans Sotin, John Wegner war für den Klingsor geradezu optimal, und Michelle de Youngs ausgezeichnet alle Schattierungen dieser komplexen Partie nachzeichnene Kundry riss zu Begeisterungsstürmen hin. Ein denkwürdiger Bayreuth-Abend!
Pressestimmen und Kritiken zur Parsifal Inszenierung 2005
Materialübersicht zu Schlingensiefs Parsifal Inszenierung
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