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"Werkstatt Bayreuth"
Nachtnotizen von Carl Hegemann 27./28. Juli 2005. Erschienen im Nordbayrischen Kurier.
Im letzten Jahr haben wir an dieser Stelle versucht zu zeigen, dass wir den "Parsifal" als das "Weltabschiedswerk" Richard Wagners sehr ernst nehmen. Und dass wir im Zentrum unserer Arbeit an diesem Werk den Tod sehen, und zwar nicht den symbolischen Tod oder den Tod als Metapher, sondern das triviale physische Leiden und schließlich das Ende unserer persönlichen Existenz. Dabei sind wir von der schwer zu bestreitenden Behauptung ausgegangen, dass Tod und Todessehnsucht das große Thema der Oper sind und ganz besonders das Thema der Opern Richard Wagners. Das zeigt sich unter anderem im "festlichen Selbstmord" in der "Götterdämmerung" und im "Tristan", zu dem Wagner notierte: "Herzliche innigste Sehnsucht nach dem Tode: volle Bewußtlosigkeit, gänzliches Nichtsein, Verschwinden aller Träume einzigste endlose Erlösung." Im "Bühnenweihfestspiel", mit dem Wagner Abschied nahm, kulminiert dieses Motiv. Amfortas spricht es paradigmatisch aus: "‚Der reine Tor!’ / Mich dünkt ihn zu erkennen: /dürft‘ ich den Tod ihn nennen!" Von hier ist es kein großer Sprung, die ganze Oper als "Vorausempfindung" der Todeserfahrung, der "zweiten Geburt" (Heiner Müller), zu betrachten oder wie wir damals sagten als "Prae-Konstruktion" eines Sterbe- oder Nahtoderlebnisses. Wagners letzte Oper, in der noch einmal alles zusammenkommt, ist ein Lebensrückblick und ein Vorausblick "in die Tiefe des Todes" (Wagner). Oder wie Wolfgang Storch uns schrieb: "Die Lanze, die Parsifal in den Gral zurückbringt, ist das Werk selbst. Ein Lebenswerk, das sich noch einmal in diesem Werk beschließt. Motive aus fast allen Werken sind in ihm eingegangen, der ganze Weg."
Der Medienrummel um Christoph Schlingensief im Vorfeld der Inszenierung hatte wohl andere Erwartungen erweckt, und so gab es viele Enttäuschte, die eher vermutet hatten, Schlingensief würde ein provokatives, aber belangloses Happening mit Ekeleffekten veranstalten, über das man schnell zur Tagesordnung übergehen könnte. Udo Bermbach, der Politologe und Wagnerforscher und verdienstvolle Mitherausgeber der neuen Fachzeitschrift "Wagnerspectrum", hat sich nun, sichtlich irritiert darüber, dass große Teile des Publikums und der Kritik Schlingensiefs Operndebüt "mehr als akzeptabel fanden", verpflichtet gesehen, im ersten Heft dieser Zeitschrift vor dieser Inszenierung des Todes zu warnen. Die Kritik, die er an Schlingensief übt, betrifft aber häufig und sicher unabsichtlich auch viele Äußerungen Wagners, und deshalb ist sie interessant.
"Ewiger Schlaf, einziges Heil"
Bermbach fragt nach dem Sinn eines Daseins, das auf den Tod hin ausgerichtet ist. Wozu sollen wir uns den
"Mühen der Ebenen" aussetzen und unsere Welt zu verbessern trachten, wenn am Ende der Weltabschied steht? Warum
sollen wir uns "transzendenten Zuständen hingeben", wenn das "Ziel doch einzig die Erlösung im Tod ist? Weshalb sollte dieses Ziel nicht unmittelbar und ohne lange Umwege angesteuert werden"? So fragt er, und diese Fragen sind, sagen wir mal "nach dem Tod Gottes", gar nicht so leicht zu beantworten. Und sie sind von einer seltsamen Aktualität. Sie lassen nicht nur an die Ungeduld des Amfortas oder an den Todestrank von Tristan und Isolde denken, sondern auch an den antiwestlichen Schlachtruf islamistischer Revolutionäre: "So wie ihr das Leben liebt, lieben wir den Tod." Ich glaube Wagner hätte sich das nicht sagen lassen, genauso wenig wie Bert Brecht, der beschloss, "schlechtes Leben mehr zu fürchten als den Tod", oder Heiner Müller, der schrieb, dass er zu viel trinke und zu viel rauche, aber zu langsam sterbe. Bermbach ist da anders. Er möchte "Parsifal" nicht als Weltabschied und "Erlösung des Erlösers" auch nicht als "Erlösung vom Erlöser" wie Nietzsche, sondern als Bildungsgeschichte mit gutem Ausgang und ohne primitive Religion: Parsifals Lernprozess soll dazu führen, dass er "am Ende den Gral öffnet und damit der Ritterschaft neue Hoffnung und Kraft gibt". Halleluja, dazu ist er, nachdem er sich von Kundry nicht hat verführen lassen und stattdessen müder Kriegsheld und Schlächter geworden ist, bestens geeignet. Ich kenne keinen Interpreten, dem es gelungen wäre, für Parsifal und diesen frauengebeutelten und verwahrlosten Priestersoldatenverein eine rosige und plausible Zukunftsperspektive zu entwickeln. Da ist kein konventionelles Happy end. Im Libretto nicht und in der Musik erst recht nicht. Bei Ulrich Drüner lese ich: "Auf die zweite Textsilbe des allerletzten gesungenen Wortes ,Erlöser’ findet ein harmonisches Gleiten (eine Klang-Rückung) statt, diesmal von es-Moll nach Des-Dur. Nur sechs Takte später folgt die dramaturgische Entsprechung, ein Bewusstseinswechsel, genauer, ein Bewusstseinsende." Auch wenn sich dieses Ende auf Kundry beziehen soll, hier ist kein Aufbruch zu sehen.
Bermbach möchte von Schlingensief und auch von Wagner wissen, wozu "die immer wiederholte These, wonach Erlösung von allem irdischen Leid, von aller Qual und allem Schmerz nur im Tod zu sehen ist", gut sein soll. Er kann es sich nicht erklären. Ganz Politologe, erklärt er die Beschäftigung mit dem Tod für unpolitisch. Der Tod gehört ja zur Biologie. Und wegen der an Voodoozauber erinnernden Rituale, die nebenbei bemerkt hervorragend zu den Verwandlungsmusiken passen, und die die Profanität des Schlingensief/Wagner‘schen Erlösungsmodells konterkarieren, ist er vollends irritiert. Er sieht in Schlingensief, wie Nietzsche in Wagner, einen "Resakralisierer", ja er scheint ihn tatsächlich als Religionsstifter zu betrachten , vielleicht sogar als Gründer "einer religiösen terroristischen Vereinigung". Was auch immer. Was hier passiert, ist für ihn "blanker Irrationalismus".
"Bald aber sind wir Gesang"
Den bürgerlichen Sympathisanten der Inszenierung, darunter Edmund Stoiber und Christina Weiß, hält er vor, dass sie, "die es gewohnt sind, allein ihrem Verstand zu vertrauen, weil sie ökonmisch überleben wollen, im Festspielhaus plötzlich ihre Tag für Tag praktizierten Kriterien außer Kraft setzen und diesen ,Parsifal’ als Quelle für die eigene Sinnproduktion missverstehen". Und das ist fürchterlich, die Benutzung des eigenen Verstandes ohne Anleitung anderer bei der Sinnproduktion erscheint ihm wie ein Rückfall hinter die nach dem Krieg mühsam wieder ins rechte Licht gesetzte Aufklärung und noch schlimmer als der Rückfall hinter 40 Jahre Rezeptionsgeschichte. Hier spricht wohl der Wille zur Deutungshoheit.
Er meint, Schlingensief sei der Übeltäter, trifft aber doch wieder Wagner, denn der hat der Versuchung, mit diesem primitiv profanen Erlösungsmodell zu kokettieren, nicht widerstanden. Bermbach, scheinbar ganz unverdrossen fortschrittsgläubig und ethnozentristisch, entdeckt bei Schlingensief die von der Bühne gepredigte Aufforderung zur Rückkehr in die "Irrationalität primitiver Naturreligionen" und wirft Schlingensief endlich vor, "das Stück als Material für seine Selbstverwirklichung" zu missbrauchen und sich "gegen das Werk und seine Intentionen" zu immunisieren. Statt gegen den Tod und die Schattenseiten unserer Lebensform, muss man wohl ergänzen. Damit habe er "jeden Anspruch auf Mitsprache in Politik und Gesellschaft" aufgegeben.
Was ist da schief gelaufen? Mit dem Regisseur und dem Publikum? Oder ist vielleicht Bermbach mit diesem ideologischen Versuch, tradierte Vorstellungen von Werktreue und Kunst-Instrumentalisierung zu zementieren und nebenbei den Bayreuther Werkstattgedanken in Frage zu stellen, ein bisschen vom Weg abgekommen? Denn der einseitige Rationalismus, den er hier vertritt, hat mit Aufklärung genauso wenig zu tun wie seine Kritik an der "eigenen Sinnproduktion" des Zuschauers. Spätestens seit Adorno wissen wir, dass Aufklärung vor der dunklen Seite des Daseins nicht zurückschrecken kann, ohne sich aufzugeben. Aufklärung, die nicht auch über ihre Grenzen reflektiert, verwandelt sich in Dogmatismus und Religionsersatz. Wagner scheute nicht das Licht, aber auch nicht das Dunkel. Für ihn, zumindest als Liebender, ist die Rationalität, die der Tag symbolisiert, "Wahn"; die Nacht aber, die Nacht der Liebe und des Todes, lässt den Wahn verschwinden. Das kann man auch in Bermbachs Büchern lesen, nur nicht in diesem strategischen Artikel.
Aufgeklärte Menschen sollten sich auch mit der Nachtseite der Vernunft auseinander setzen, anstatt sie aus dem Diskurs zu verbannen. Künstler müssen das wahrscheinlich sogar. Sie sind von Berufs wegen für das Irrationale zuständig, das bisher keine Gesellschaft weggekriegt hat. Wagner war mehr als ein Romantiker, und Schlingensief ist kein Voodoozauberer, sondern wie Wagner ein Künstler. Beide sind Teil der Aufklärung, gerade wenn sie sich als Künstler mit dem Außerrationalen beschäftigen.
"Sehnsucht ins Ungebundene"
Nehmen wir Hölderlin als ersten Spätaufklärer: "Und immer ins Ungebundene gehet eine Sehnsucht", sagt der in der Hymne "Mnemosyne". Das bezeichnet das Eine, was uns am Leben hält, wahrscheinlich auch Herrn Bermbach. Das "Ungebundene" bedeutet Verantwortungslosigkeit, Exzess, Tod, Bewusstlosigkeit und schließlich Erlösung. Er ergänzt diese Feststellung aber mit der folgenden Einsicht: "Und vieles auf den Schultern wie eine Last von Scheitern ist zu behalten und Not die Treue." Das bedeutet Bindung, Verantwortung, das Tragen von Lasten und Niederlagen oder wie Kundry sagt "sich durchs Dasein quälen". Nur in der paradoxen Spannung zwischen beiden Seiten kann sich Leben entfalten und Kunst. Diese paradoxe Zweikomponentenlehre, ein Resultat der deutschen Aufklärungsphilosophie, ist nicht irrational. Sie lässt ahnen, dass Todessehnsucht und Lebenssehnsucht sich nicht ausschließen, sondern zwei Seiten derselben Medaille sein könnten. Deshalb sind wir so glücklich, wenn wir eine wirklich gelungene Tragödie sehen. Das sollte Herr Bermbach vielleicht mal überprüfen.
Hölderlin hat auch der Oper schon einen Platz zugewiesen. "Vieles hat erfahren der Mensch, seit ein Gespräch wir sind und hören voneinander, bald aber sind wir Gesang." Die Aufklärung endet nicht bei Habermas. Ausgerechnet der Oper den Tod austreiben zu wollen, ist eine verwunderliche und für die Oper mit Sicherheit tödliche Strategie. Man sollte das nicht probieren, das schaffen nicht mal die Seifenopern. Sicher, der Tod ist nicht politisch (im Gegensatz zur Oper?). Aber nicht erst seit man von Biopolitik spricht, wissen wir, dass ohne die Voraussetzung des Todes Ökonomie und Politik nicht denkbar wären. Die Beschäftigung mit dem Tod hat immer auch eine politische Seite. Die Utopie der Schmerz- und Widerspruchslosigkeit findet im Tod ihr Vorbild. Gleichzeitig ist der Tod in seiner Unvermeidlichkeit das "schlechthin antiutopische Faktum" (Horkheimer). Ich glaube, die Ignoranz gegenüber diesem Faktum hat dem so genannten wissenschaftlichen Sozialismus mehr geschadet als das Ende des Ostblocks
Materialübersicht zu Schlingensiefs Parsifal Inszenierung
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