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Der Animatograph Edition Parsipark (Ragnarök)
Der ANIMATOGRAPH (Edition Parsipark, 2005) von Christoph Schlingensief, eine Installation,
die 2005 bereits in Neuhardenberg gezeigt wurde, macht mit großzügiger Unterstützung des Sammlers
Harald Falckenberg für fünf Monate Station im Museum der bildenden Künste Leipzig.
Ausgangspunkt des ANIMATOGRAPHEN ist Schlingensiefs Parsifal-Inszenierung bei den Richard Wagner-Festspielen in Bayreuth (2004). Der Besucher betritt in Leipzig eine
langsam rotierende Plattform, die ihm den festen Boden unter den Füßen buchstäblich wegzieht und ihn zu einem Teil des Kunstwerks
werden lässt. In einem dunklen, gruftartigen Raum werden Filme projiziert, die Hitler und Stalin als wichsende Pornodarsteller
und Rhesusäffchen in braunen Nazi-Uniformen zeigen. Durch die Rotation entstehen filmische Überblendungen und Mehrfachbelichtungen.
Der Künstler versteht den ANIMATOGRAPHEN als eine Kamera, die gleichzeitig festhält, spiegelt und aufsprengt.
Schlingensief inszeniert Geschichte und Mythologie in ihrer Irrationalität und Getriebenheit, ein vielschichtiges und
tabubeladenes Material, das er ästhetisch nutzt. Wie der ANIMATOGRAPH dreht sich die Geschichte und endet niemals: aus
Nationalsozialismus wird Sozialismus wird Kapitalismus wird...? Schlingensief gibt keine Antworten, sondern stellt filmisch
Fragen. Er nutzt dazu das nicht-sprachliche Potential von Bildern und Bildprozessen. Schlingensief bezieht sich dabei auf die
US-amerikanischen Künstler und Kunsttheoretiker der Aktionskunst Allan Kaprow (1927–2006) und Paul Thek (1933–1988).
Auch das Museum ist, ähnlich wie der ANIMATOGRAPH, eine Raum/Zeit- Installation, die Erfahrungen jenseits rationaler
Erkenntnisse ermöglicht, wenn man sich auf die Zeitreise in dieses offene Archiv einlässt. Christoph Schlingensief formuliert
die Gebrauchsanweisung, die gleichzeitig für den ANIMATOGRAPHEN und das Kunstmuseum gilt: „Der Vorgang
ist, sich selbst in die gesammelten Bilder zu projizieren, in den Projektionsstrahl, der man selber ist, einzutreten und den
Kreislauf des Animatographen anzutreiben.“ (Jan Nicolaisen)
ANIMATOGRAPH
von Christoph Schlingensief
im Museum der bildenden Künste Leipzig
2. 6.— 5. 11. 2006
"Für mich ist nichts beendet" (Leipziger Volkszeitung)
Christoph Schlingensief über den Stammbaum seiner Arbeit, feindliche Übernahmen und Michael Ballack in National Befreiten Zonen
Von Jürgen Kleindienst
Frage: Sie bringen uns den Animatographen - Was ist das?
Christoph Schlingensief: Ich komme vom Film. 1993 kam das Theater dazu, vor drei Jahren Bayreuth, dazwischen Aktionen. All das zusammenzuführen, die Idee, ein Kino zu bauen, in dem der Mensch als Projektionsfläche dient und selbst projiziert, die habe ich hier zu verwirklichen versucht. Etwas Steinzeitliches ist das. Ein Mensch, der vor dem Lagerfeuer saß, hat einen Schatten an die Wand geworfen. Plötzlich merkt er, es gibt etwas Doppeltes von ihm, eine Art Abzug. Dieser Animatograph spielt damit. Hier wird der Raum zur Zeit, eine ganz langsam sich drehende Scheibe.
Was sieht man?
Man muss reingehen. Der Animatograph ist eine Komposition, unter anderem aus Filmen, die innerhalb von Aktionen entstanden sind und immer im direkten Bezug zum Ort, wo er gewachsen ist. In der in Leipzig gezeigten Fassung gibt es zum Beispiel einen Hitler-Stalin-Porno, der ganz eindeutig beweist, dass die beiden eine Affäre miteinander hatten. Das ist übrigens ein Original. Den haben wir in Neuhardenberg gefunden. Da, wo die letzte Schlacht vor Berlin stattgefunden hat.
Sind Sie ein Fälscher?
Man muss sich nur erkundigen, dann kriegt man auch raus, dass die Hitler-Tagebücher echt waren. Kujau ist hoch begehrt. Die Fälscher werden wertvoller als die Originale. Ich habe in meiner Arbeit immer mit Übermalungen gearbeitet. Wenn man sich den Wien-Container anschaut, war das ja eine Übermalung mit einem Thema, das wieder andere benutzt haben. Herr Haider hatte "Ausländer raus" gefordert, ich hatte das noch dicker übermalt und wieder andere übermalten das, indem sie sagten, ich wäre ein Triebtäter oder ein Kranker.
Was ist geblieben von all den Projekten die Sie verstreut über Deutschland und die Welt gemacht haben?
Jede Arbeit wäre ohne die vorige nicht möglich gewesen. Gerade heute, wo jede Vergangenheit ausrangiert wird oder jeder Stammbaum gefälscht wird, sammele ich alles und hoffe auf weitere Transformationen, feindliche Übernahmen. Mir war immer suspekt, wenn in der Kunst etwas für fertig erklärt wird, der Rahmen drum kommt und die Arbeit für beendet erklärt wird. Für mich ist nichts beendet.
Was ist aus Ihrem Nazi-Aussteiger-Projekt geworden?
Im Gegensatz zum damaligen Innenminister Schily haben wir durchaus etwas vorzuweisen, immerhin sind einige dauerhaft ausgestiegen. Schilys Ding hat 30 Millionen oder noch mehr gekostet, und da ist nichts passiert, außer dass der Verfassungsschutz für DVU oder NPD die Plakate gemalt hat. Die wirkliche Auseinandersetzung mit dem Thema findet nicht statt.
Politik scheint Sie aber nicht mehr so zu interessieren...
Ich bin der festen Überzeugung, dass meine Arbeit im Moment wesentlich politischer ist als der Quatsch, der uns als Politik vorgeführt wird. Die Politik ist auf einem Lügengespinst aufgebaut, das man Demokratie nennt. Es ist nur noch eine Masche. Da sind Menschen am Werk, die so tun als wären sie superschnell und somit effektiv. Aber eigentlich sind sie langweilig und verblödet, tun so, als könnten sie zu jedem Thema etwas sagen. Wahrhaftiger wäre es, ans Mikrofon zu treten und zu sagen: Ich weiß auch nicht, wie es geht, meine Damen und Herren.
Wir haben die aber gewählt...
Wir sind Produkte unseres eigenen Selbstbetrugs. Wir haben die ganze Zeit gedacht, wir werden erlöst, dann kommt die Diagnose, und es heißt, wir sind todkrank. Doch immer noch hoffen wir, dass uns einer die Zähne putzt. Diese Ohnmacht mache ich nicht mit. Ich habe extrem viel Lust, Leute anzugreifen. Weil ich weiß, dass Politik Lüge ist.
Von Ihnen heißt es, Sie würden an keinem Mikrofon vorbeilaufen...
Das sagen die, denen die Mikrofone abhanden gekommen sind. Die quatschen sich dann selber voll. Ich mache nur dann mit, wenn ich will, und nicht, wenn mich jemand benutzen möchte. Ich habe auch nicht mehr Lust, mich pausenlos dafür verteidigen zu müssen, dass ich mich noch bewege.
Sind scheinen aber ruhiger geworden zu sein - oder täuscht das?
Wir sind mittlerweile ein "Familien-Team" von 12 Personen. Ich bin viel zu aufgeregt, um alles alleine zu bewältigen. Für all diese verhältnismäßig großen Projekte braucht man Menschen, die man liebt und die einen mögen. Wir sind als Gruppe unterwegs, in Island, Afrika, jetzt in Leipzig, demnächst in Berlin, Salzburg, Bayreuth und Brasilien. Mein Atem ist dadurch länger geworden, ich fühle mich sicherer und glaube, dass meine Arbeit deshalb auch stabiler wahrgenommen wird.
Sie hatten etwas Gehetztes...
Nach der Zeit mit der Partei "Chance 2000" war ich auf Entzug. Und wenn man sich das nicht eingestehen kann, fängt man an, sich Ersatzbefriedigungen zu suchen. Das habe ich gemacht. Ich möchte nicht wissen, wie der Joschka Fischer jetzt seine Tage verbringt, in denen sich keiner mehr so richtig interessiert für seine Ansichten.
Sie sollen kürzlich gesagt haben, Angela Merkel sei süß...
Süß? .... Da kenn ich süßeres. Aber ich finde es gut, dass es jetzt mal eine Frau macht. Frauen haben Beschützerinstinkt. Männer trommeln. Allerdings steht man jetzt, nach Schröder, in einem Vakuum still, seine Rechnungen flattern rein, und die Geschwüre breiten sich aus.
Hat man Sie eigentlich gefragt, ob Sie bei der "Du bist Deutschland"-Kampagne mitmachen wollen?
Nein, danke. Da wäre ich komplett der Falsche. Ich bin nicht Deutschland. Das ist totaler Blödsinn.
Schlagen Sie was Besseres vor.
Ballack muss in den Osten gehen, statt auf Plakaten "Du bist Deutschland" zu sagen. Er muss in den befreiten Zonen zwei Wochen mit den jungen Typen, die sich die Köpfe abrasiert haben, Fußball spielen und denen beim Bier erklären, wer wir sind, was wir wollen. Da würde ich mitmachen. Die Nazis sind auch Deutschland.
Ist Deutschland eigentlich zusammengekommen?
Nein, ich hoffe nicht. Ich lege auch keinen Wert darauf. Ich denke, es wird noch traumatische Züge haben, wenn man irgendwann erkennt, was sich der Westen einverleibt, aber in keinster Weise verdaut hat. Und da drin sitzt jetzt die Blähung. Ich weiß nicht, ob sie oben oder unten wieder raus soll. Deutschland Ost-West, das soll doch nur ein Veredelungsprodukt werden. Jetzt machen wir hier noch ein Loch zu für die Fußball-WM. Danach machen wir das Loch wieder auf. Super.
Wer soll Weltmeister werden?
Das interessiert mich nicht. Ich habe mit Fußball nichts am Hut. Ich weiß nicht mal die Regeln.
Aus: Leipziger Volkszeitung vom 1.6.2006
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Animatograph Edition Parsipark Flyer, MdBK Leipzig, 2006 (PDF) |
Materialübersicht zu Ragnarök (Edition Parsipark)
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